Vorbild sein

Ein Gastbeitrag von Hilal Aydemir

Warum der eigene Iman wichtig ist für die Kindererziehung

Erziehung und Religion. Das sind zwei sehr wichtige und umfangreiche Themen, die unabhängig voneinander die Menschheit beschäftigen. Es ist interessant sich Gedanken darüber zu machen, ob die Religiosität der Eltern bei der Erziehung eine Rolle spielt. Wie könnte eine religiös geprägte Erziehung aussehen? Hat sie wohlmöglich Vorteile, die man in die Kindeserziehung mit einbringen kann? Oder sollte sie außen vor stehen?   

Spricht man ganz allgemein von religiösen Menschen schließt dies alle Religionen mit ein. Denkt man an religiöse Eltern wird man aus der westlichen bzw. „modernen“ Perspektive zunächst an veraltete Erziehungsmittel denken, die konservativ und autoritär sind.

Doch muss es so sein, ist es wirklich so? Bedeutet eine religiös motivierte Erziehung gleich eine autoritäre Erziehung?

Wo doch in allen monotheistischen Religionen Werte wie Geduld, Liebe und Barmherzigkeit eine zentrale Rolle spielen. Wo wir doch in einer Zeit leben in der der gesellschaftliche Wandel eine neue Perspektive auf das Kind erzeugt hat, in der viele verschiedene Erziehungsstile entstanden sind, von denen die allermeisten jedoch mehr Rücksicht auf das Kind nehmen. Mit Beginn der Neuzeit und der sogenannten „Entdeckung der Kindheit“ rückt das Kind und die Erziehung immer mehr in den Mittelpunkt von Eltern.

Die Erwartungshaltung an die Kinder und an die Eltern ändern sich durch gesellschaftliche Veränderungen stetig. Unabhängig von der Religion also, bestimmten meist die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Erwartungen die Erziehungs-ziele und -werte der Eltern.

Nehmen wir als Beispiel das Hier und Jetzt. Was erwarten die meisten Eltern von ihren Kindern, unabhängig davon, ob sie religiös sind oder nicht. Was würde dir einfallen?

Schulischer Erfolg , Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein.

Gehe ich von meinen Beobachtungen aus, sehe ich religiöse Menschen, die selber praktizieren aber es nicht unbedingt von ihren Kindern erwarten. Dann gibt es religiöse Eltern, die sich sehr wünschen, dass ihre Kinder religiös werden. Diese teilen sich in zwei. Die eine Gruppe übt keinen Druck auf die Kinder aus, ist eher passiv. Die andere Gruppe wiederum versucht die Religiosität ihren Kindern aufzuzwingen. Eine Verallgemeinerung ist demnach nicht möglich.

Immer mehr junge, praktizierende muslimische Eltern sind engagiert, die Liebe des Islams, welche sie selbst in ihrem Herzen tragen, in die Herzen ihrer Kinder einzupflanzen. Und in diesem islamischen Rahmen wollen sie gleichzeitig ihre Kinder auf die bestehenden gesellschaftlichen Anforderungen unser hiesigen Gesellschaft bestens vorbereiten.

Fokussieren wir uns auf dem Islam und gehen von den Begriff „Iman“ aus, möchte ich der Frage nachgehen, welche Potenziale im Glauben, im Iman, stecken, der uns helfen kann unsere Erziehungsideale als praktizierende, gläubige Eltern zu realisieren.

Was bedeutet Iman?

Es besteht ein authentischer Hadith aus dem herausgeleitet wird, das man zwischen den Begriffen Islam, Iman und Ihsan zu unterscheiden hat. Auf diesem Hadith wurden die fünf Säulen des Islams und die sechs Säulen des Imans herausgeleitet.

Während sich die fünf Säulen des Islam auf Tätigkeiten beziehen, verlangen die sechs Grundlagen des Imans zunächst einen aufrichtigen inneren Glauben. Iman bedeutet an Allah, seine Engel, seine Bücher, seine Gesandten, an den jüngsten Tag, an die göttliche Bestimmung und an das Gute und Böse darin zu glauben.

Auch wenn der Iman etwas Innerliches ist, welches sich tief im Herzen abspielt, wird er unsere Gefühle und Gedanken sowie unsere Sprache und unser Handeln beeinflussen. Der aufrichtige Glaube „ Iman“  wird nämlich in drei Stufen gegliedert, von denen die letzte Stufe gleichzeitig die höchste Stufe darstellt:

  1. Der Glaube im Herzen,
  2. die Aussprache/ das Bekenntnis des Glaubens
  3. das Handeln nach dem Glauben

Die höchste Stufe des Glaubens ist relevant für die Erziehung unserer selbst und unserer Kinder. Unser Iman wird uns helfen unsere Erziehungsziele für das Diesseits zu realisieren. Und was noch viel wichtiger für uns ist, sind unsere Erziehungsziele, die wir für den Erfolg im Jenseits setzten. Dieser Punkt unterscheidet religiöse, gläubige Eltern von nichtgläubigen Eltern: Die Erziehungsziele, die über die weltlichen Angelegenheiten hinaus zu erfüllen sind.

Die Ziele für das Diesseits und für das Jenseits kann man nicht so leicht von einander trennen, da sie voneinander abhängen und voneinander bedingt sind. Gottesdienstliche Handlungen wie das Beten oder das Fasten haben neben ihrer göttlichen Belohnung auch meist eine sogenannte „Hikmat“ / Weisheit inne, die uns in unserem weltlichen Leben zu Gute kommen. Für das Beten könnte man die innere Ausgeglichenheit nennen. Weisheiten des Fasten wären, dass man Selbstdisziplin und Verzicht lernt. Diese Beispiele an gottesdienstlichen Handlungen und ihren Weisheiten können unendlich lang weitergeführt werden.

Wenn wir unseren Schöpfer, Allah, kennen und lieben wird es uns aus unserem inneren Glauben sowie unserer inneren Kraft heraus leichter Fallen, uns zu bemühen unser Verhalten zu vervollkommnen und uns gute Angewohnheiten anzueignen.  Unser Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen und unserem Kind werden von Respekt, Selbstbeherrschung, Toleranz und Gutmütigkeit geprägt sein.

So werden wir ein gutes Vorbild für das soziale und emotionale Verhalten unseres Kindes sein und seine Kompetenzen in diesen beiden Bereichen fördern. Es wird merken und nachahmen, dass für ein harmonisches Zusammenleben Eigenschaften, wie Verantwortungsbewusstsein, Vertrauen, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und Friedfertigkeit notwendig sind.

So wird es einen emotional ausgeglichenen und stabilen Charakter entwickeln, welcher ihm zum Beispiel in der Schule, im Arbeits- sowie Eheleben weiterhelfen wird.

Eine Mutter mit innere Ruhe, Geduld und Gottesvertrauen wird den stressigen, chaotischen  und manchmal herausfordernden Alltag sicherlich besser meistern.  Ein Vater der sich seiner Verantwortung vor Allah bewusst ist, wird sicherlich mehr Mühe und Engagement in die Erziehung seiner Kinder investieren. Und sich nach einem stressigen Arbeitstag trotzdem in die Erziehung und den Familienalltag mit einbinden.

Bevor ich Mutter wurde habe, ich sehr viel über Pädagogik gelesen, erfahren und mir Vorstellungen gemacht  Nach dem ich aber Mutter wurde, habe ich realisiert, dass Erziehung zunächst Selbsterziehung ist. Nur wenn ich selbst meine Erwartungen an mein Kind erfülle, wird auch mein Kind die Tugenden zu Tage bringen, die ich von ihm erwarte bzw. erhoffe.

Durch diese Erkenntnis wurde mein erstes Erziehungsziel, dass ich selbst nach dem Vorbild unseres Propheten (sav) den edlen Charakter anstrebe.

Es heisst nicht umsonst, dass Kinder der Spiegel der Eltern und Gesellschaft sind. Und wirklich recht hat Goethe, wenn er sagt: „Man könnt erzogene Kinder gebären,

wenn die Eltern erzogen wären.“

Wir wissen aus einem Ausspruch unseres Propheten, dass die Fitrah jedes Neugeborenen rein ist. Die Natur und das Wesen jedes Menschen ist aus islamischer Perspektive rein (vgl. Quran 50:32/ 7:172). Es herrscht demnach ein positives Menschenbild im Islam. Erst durch falsche Umwelteinflüsse, Sozialisation und Erziehung verliert der Mensch seinen inneren Kompass, der ihm ein Gefühl für richtig und falsch gegeben hat.

Warum der Iman also wichtig ist? Damit wir durch unser Handeln unseren Kindern ein gutes, authentisches Vorbild für einen edlen Charakter liefern. Sie so erziehen, dass ihre reine Fitrah so wenig wie möglich durch Umwelteinflüsse geändert werden.

Damit wir nicht viel reden, schimpfen und verzweifeln müssen sondern durch die häusliche Atmosphäre und unser elterliches Handeln unseren Kindern viele Tugenden vorleben. Damit wir dadurch hoffen können, dass wir und unsere Kinder das Wohlgefallen Allahs und somit das Paradies erlangen können.

Es gibt Studien darüber, welche Kinder gerne Bücher lesen. Es sind nicht die Kinder , die von ihren Eltern aufgefordert werden Bücher zu lesen. Sondern die Kinder, die ihre Eltern lesen gesehen haben. Und die Kinder, die zusammen mit ihren Eltern gelesen haben. Die Kinder, die in Familien aufgewachsen sind, in denen man sich über Gelesenes austauscht. Und das ist wieder nur ein Beispiel dafür, dass das Auffordern , Schimpfen und Bestrafen nicht viel bringt.

Unser Handeln, unsere liebvoller und authentischer Umgang mit unseren Kindern, der aus unserem Iman heraus entspringt, wird unsere Erziehung erleichtern und verschönern. Und dies werden wir nur schaffen, wenn wir wirklich glauben und unser Glauben sich in unseren Taten wiederspiegelt.

Mehr von Hilal Aydemir findest du auf dem Glückskindsblog

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