Meine Oma. Löwin.

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Über die Liebe einer nichtmuslimischen Oma zu ihrer muslimischen Enkelin

Meine Großeltern sind 79 und 81 Jahre alt. Sie leben gemeinsam in einer betreuten Einrichtung und sind eher einfach gestrickt. Sie sind Stammleser des erfolgreichsten deutschen Boulevardblättchens und ich bin mir sicher, sie glauben auch meist was sie darin lesen. Mein Opa mag nichts, das nicht deutsch ist. Er hat deswegen zum Beispiel im Leben noch keine Pizza gegessen. Meine Oma benutzt leider immer noch das N-Wort, wenn sie von ihrer dunkelhäutigen Pflegerin spricht. Nicht in böser Absicht, aber sie tut es.

So gesehen kann man vielleicht verstehen warum ich ihnen jahrelang verschwiegen habe, dass ich den Islam als meinen Lebensweg gewählt habe. Zu groß war meine Angst, dass sie mich nicht mehr sehen wollen oder es unangenehme Kommentare hagelt. Immerhin war mein Opa ziemlich verärgert, dass in einer Stadt in unserer Nähe eine Islamistenschule aufgemacht hat. Sowas! Bei uns! (Er meinte damit eigentlich die Koranschule in der Moschee.) Wie würde er da reagieren, wenn seine Enkelin nun plötzlich mit Kopftuch daher kommt?

Aber eines Tages MUSSTE ich es tun. Es schien mir sinnlos mein Kopftuch abzunehmen, sobald ich zu Ihnen fuhr, um sie zu besuchen. Wenn Kopftuch, dann richtig. Überall und vor jedem. Und so kam der Tag und es geschah…nichts. Kein komischer Blick, keine Fragen. Alles wie immer. Ich war mir sicher: das nächste Mal, wenn der „erste Schock“ überwunden ist, bricht alles über mich herein. Und wieder: nichts!

Meine Oma rief mich eine Zeit lang immer am Samstagsmorgen an, während ich Islamunterricht für Kinder gab. Irgendwann sagte ich ihr, sie solle bitte immer mittags anrufen, da ich unterwegs war und Unterricht gab. „Ach so. Was für Unterricht?“ Ich stockte kurz. „Für Kinder, Oma.“ Ich hörte sie lächeln. „Ja, aber WAS unterrichtest du?“ Ich schluckte kurz. „Ich gebe Islamunterricht.“ „Na das hätte ich mir doch denken können. Blöde Frage.“, lachte sie und weiter ging es im Text. So einfach kann es sein.

Ich weiß, beide meine Großeltern verstehen nicht was das soll mit dem Islam. Und diesem Kopftuch. Dass mein Opa nicht an die Decke ging, als ich einen Marokkaner geheiratet habe, wundert mich bis heute. Ich gehe davon aus sie denken ich mache es wegen ihm oder für ihn – was nicht der Fall ist. Aber das alles ist unerheblich. Sie lieben mich. Ich spüre und weiß es.

Und darin liegt für mich die Schönheit der Liebe. Ich muss dich nicht unbedingt verstehen. Muss nicht deinen Glauben, deine Meinungen und Ansichten teilen. Ich muss dich einfach nehmen wie du bist und darf dich in deiner Verschiedenheit bewundern und gern haben. Du bist anders als ich. Und trotzdem oder genau deswegen liebe ich dich.

Ich kenne meine Oma so lange ich denken kann. Und doch schafft sie es immer wieder mich zu überraschen. Letztens habe ich beide besucht, damit sie ihren Urenkel sehen können. Auf dem Weg zum Ausgang schaute mich eine Frau schief an und flüsterte etwas zu ihrer Sitznachbarin. „Das ist keine Ausländerin!“, fuhr meine Oma sie unvermittelt an. „Aber sie trägt doch ein Kopftuch!“, motzte die Dame zurück. „Na und, gewöhn dich dran!“, meckerte meine Oma und drängte mich wutschnaubend in den Fahrstuhl. 79 Jahre alt, nur noch mit Rollator mobil und erhaben über das Geschwätz anderer. Meine Oma. Eine Löwin.

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