Ziemlich beste Freundschaft: Charlotte und Hannah

Hannahs beste Freundin ist keine Muslimin. Und das ist auch gut so.  

Wenn man Charlotte und Hannah zum ersten Mal zusammen im Café sitzen sieht, wie sie sich angeregt über ihre Latte Macchiatos hinweg unterhalten, ahnt man nicht, welchen gemeinsamen Weg diese beiden miteinander hinter sich gebracht haben. Nicht immer saßen die beiden Freundinnen so harmonisch beieinander. Und das hat indirekt auch viel mit dem Kopftuch zu tun, das Hannah seit gut sechs Jahren trägt.

„Als ich gehört habe, dass Hannah zum Islam konvertiert ist, habe ich erst mal geheult.“, sagt Charlotte. „Ich weiß noch, wie sie einmal sagte, dass sie niemals Kopftuch tragen würde. Und dann war es plötzlich doch soweit. Das hat mich umgehauen.“ Hannah und Charlotte sind seit mehr als 12 Jahren miteinander befreundet, gingen gemeinsam zur Schule, machten gemeinsam Abi. Doch auch danach blieben sie trotz unterschiedlicher Entwicklungen und Charlottes Auslandsjahr in England Freundinnen. Vor sechs Jahren wählte Hannah dann den Islam als ihren Lebensweg. Was für sie eine lange innere Reise war, kam für ihr Umfeld mehr als plötzlich. „Das war erst mal ein krasser Einschnitt in unsere Freundschaft. Ich glaube am Anfang haben wir vordergründig nur das gesehen, was uns vermeintlich trennt. Das hat es uns recht schwer gemacht. Es gab viele Tränen. Auf beiden Seiten.“, gibt sie zu. Rückblickend sei diese anstrengende Zeit allerdings ein großer Glücksfall gewesen.

Nachdem sich der anfängliche Schock gelegt habe, sei viel diskutiert, gefragt und erklärt worden. „Wir haben wirklich alles analysiert.“, lacht Hannah. „Aber es hat geholfen!“ Je mehr Zeit verging, desto näher seien sie wieder zusammengerückt. Auch in Charlottes Leben überschlagen sich plötzlich die Ereignisse, verschiedene private Rückschläge lassen sie in ein seelisches Loch fallen. Doch sie findet Hilfe in einer Therapie und in der Entdeckung ihrer Spiritualität. „Ich glaube nicht an Gott.“, sagt Charlotte. „Aber ich glaube daran, dass es mehr gibt, als wir sehen und manchmal auch mehr als wir begreifen können. Dass alles miteinander verbunden ist. Und alles seinen Sinn hat.“

Rückblickend hätten diese schwierigen Zeiten ihre Freundschaft gestärkt bestätigen beide. „Wir beide haben Lebensentwürfe und –vorstellungen, die von der Norm unserer Gesellschaft abweichen. Und das ist wiederum eine Sache, die uns verbindet. In unserer Unterschiedlichkeit finden wir unsere Gemeinsamkeiten.“ Charlotte beschäftigt sich z.B. mit Tierkommunikation und hält Zwiesprache mit ihrem Hund. „Natürlich klingt das am Anfang befremdlich.“, gibt Hannah zu. „Aber Lotte hat mir viel darüber erzählt, mir ihre Erfahrungen geschildert. Und so ergab alles für mich einen Sinn. Dass sie mit Tieren Kontakt hält und quasi deren Gedanken lesen kann – um es mal ganz einfach zu formulieren – ist für mich heute das Normalste auf der Welt.“ Charlotte muss schmunzeln. „Man muss nicht immer alles verstehen, was der andere tut. Oft reicht es, wenn man Verständnis für die Andersartigkeit zeigt und zuhört. Dadurch ergeben sich oft ganz neue Sichtweisen.“

Selbstverständlich gebe auch es auch genügend Themen, zu denen beide eine komplett andere Meinung hätten. Charlotte glaube an Wiedergeburt, Hannah dagegen an Paradies und Hölle nach dem Tod. „Ja, es gibt die Momente in denen ich etwas kategorisch ablehne, weil es sich meiner Meinung nach einfach nicht mit Koran und Sunna verträgt. Aber das erkläre ich auch genau so. Und Lotte akzeptiert das. Andererseits gibt es ganz viele Themen, die wir ähnlich sehen und sie einfach nur anders benennen. Da kam schon der ein oder andere Aha-Effekt zustande.“, erklärt Hannah und Charlotte nickt.

Mit der Zeit habe Hannah durch den Islam viele neue Bekannte und Freunde hinzugewonnen. „Klar habe ich jetzt auch einige muslimische Freundinnen.“, berichtet sie. „Aber diese Beziehungen sind nicht mit unserer Freundschaft zu vergleichen. Es ist schön Menschen, um sich zu haben, die genau wie ich an Allah glauben und mit denen ich über bestimmte Themen einfach sehr gut reden kann, weil sie mich von der Religion her verstehen. Aber am Ende ist es doch immer das Gespräch mit Lotte, das mir hilft. Wenn ich dann noch mal eine ganz andere Meinung, fern ab von Religion bekomme, bringt mich das oft weiter. Es sind die verschiedenen Sichtweisen, die meinen Freundeskreis ausmachen.“

Charlotte und Hannah seien über die Jahre Seite an Seite erwachsen geworden. Längst wohnen sie nicht mehr so nah beieinander wie zu Schul- und Studienzeiten. Aber die Distanz sei keine Hürde das Leben miteinander zu teilen.

„Ich weiß, man sagt man soll seine Freunde weise wählen, weil sie die erste Reihe für das eigene Totengebet bilden. Aber ich würde Lotte gegen keine andere Freundin der Welt tauschen wollen. Wenn es Seelenverwandte gibt, dann ist sie meine! Egal, ob sie Muslimin ist oder nicht.“, lächelt Hannah und man merkt, dass es ihr ernst ist. Auch Charlotte will nicht auf Hannah verzichten. „Kein anderer Mensch hört mir zu wie sie. Sie kennt mich in- und auswendig. Wir reden mehr miteinander als mit unseren Männern. Kein Tag vergeht ohne, dass wir per Whatsapp in Kontakt sind, auch, wenn das Leben gerade stressig ist.“ Klar, man spreche nicht immer nur über die großen Fragen des Lebens. „Wir können auch einfach nur eine entspannte Zeit miteinander verbringen, über früher quatschen, Bücher diskutieren oder nur dasitzen und Kaffee trinken.“, sagt Charlotte. „Aber zu wissen, dass man jemanden an seiner Seite hat, der einen so annimmt, wie man ist, der einen mit seinen scheinbar verrücktesten Ideen und größten Problemen akzeptiert und unterstützt, ist das größte Geschenk, das man kriegen kann.“

Comments

comments