Muslimische Ehen und Paartherapie

„Früher hat er mir wenigstens zugehört, jetzt interessiert es ihn gar nicht mehr, wenn ich weine“, sagte Amina und legte ihre Hände auf den Schoß. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und aus Khaled platzte es heraus: „Sehen Sie, genau das ist das Problem. Mit ihr kann man nicht reden, ohne dass sie direkt losheult. Mich nervt das, ich will sie nicht weinen sehen, deswegen sage ich lieber gar nichts. Nichts ist ihr recht!“

Amina und Khaled sind ein junges Paar und gerade mal 3 Jahre verheiratet. Eine Eheberatung aufzusuchen ist nicht einfach, besonders dann nicht, wenn der kulturelle Hintergrund selten solche Maßnahmen vorschlägt. Meine Adresse bekamen sie letztendlich von dem Imam ihrer Moschee, mit dem Vermerk – muslimische Psychologin. Viele muslimische Paare haben so ihren Weg in den Beratungsraum gefunden. Besonders wohl fühlten sich beide nicht in der ersten Sitzung, aber es ist inzwischen die vierte und beide öffnen sich langsam. Paare, die sich zu diesem Schritt entscheiden, wissen häufig, dass sie zusammen bleiben wollen. Die Frage ist nur wie, wenn man immer streitet. Und da wären wir auch schon beim eigentlichen Problem. Kommunikation. Auch, wenn ein Paar funktioniert, kann die Kommunikation dysfunktional (so nennt man das im Fachjargon) sein und in den meisten Fällen ist das auch der Ursprung aller Probleme. Das Konzept Ehe oder Beziehung ist selten einfach und immer sehr komplex. Denn egal, wie sehr sich zwei Menschen gleichen, sie werden niemals dieselben Gedanken geschweige denn dieselben Sehnsüchte und Bedürfnisse haben, auch wenn diese sich überlappen.

Kaum eine Beziehung ist konfliktfrei – und um ehrlich zu sein, würde das aus professioneller Sicht auch Sorge bereiten. Streit und Diskussionen sind unangenehm, keine Frage, aber nur so kann eine Beziehung wachsen. Streitigkeiten sind Kommunikation. Hört Kommunikation auf, hat mich sich nichts mehr zu sagen.

Aber was ist Paartherapie denn nun?

Paartherapie zielt darauf ab die Kommunikation zwischen zwei Personen zu verbessern, um gemeinsame Lösungsansätze zu finden. Manchmal ist es jedoch so, dass nur ein Partner an der Beratung teilnehmen will, meistens ist es der Partner, der die Beratung vorschlägt. Wenn man mehrere Sitzungen alleine durchlaufen hat, kann es sein, dass der Partner sich doch umstimmen lässt, weil sich schon einige Aspekte verändert haben. Die Anfänge und Ursachen sind in jedem Fall anders und individuell, aber die Problematik ist oft die gleiche. Kommunikation. Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass man bei einer Paarberatung keinen Richter aufsucht. Der Therapeut wird wahrscheinlich nie seine eigene Meinung beisteuern, vielmehr wird er versuchen eine neutrale Plattform fürs Zuhören und Gehörtwerden zu sein. Der Therapeut wird somit nicht mehr als Fremder wahrgenommen, sondern Teil einer Situation, die die Kommunikation erleichtert.

Wie kann Paarberatung helfen?

Wenn die Beziehung durch den Alltag (Kindererziehung, Arbeit usw.) schon eingefahren ist, ist es einfach sich in Muster zu verstricken und dem Partner nicht mehr zu hören. Manchmal weiß man aber auch gar nicht, was man wirklich will und ist jederzeit gegen Streit gewappnet. Das macht sehr müde und man ist ständig gereizt. Genau dann kann es helfen mit jemanden zu sprechen, der weder Teil des Lebens noch parteiisch ist. In der Beratung gibt es kein „perfektes“ Paar und kein Schema, dem man folgen muss, um eine gute Beziehung zu führen. Man muss sich nur selber und den Partner verstehen lernen. Hier einige Herausforderungen, die sich Paare manchmal stellen müssen:

  • Familiärer Hintergrund und eigene Erziehung; wie sie die Beziehung bereichern und belasten.
  • Eigene Vergangenheit und Art und Weise wie man zuvor Probleme angegangen ist.
  • Kommunikation auf einer sachlichen Ebene.
  • Wann eskalieren Diskussionen und warum?
  • Wie kann man besser kommunizieren und Kompromisse finden?
  • Der Partner ist fremdgegangen, was nun?
  • Eifersucht
  • Finanzielle Sorgen

Man muss hierzu verstehen, dass selbst wenn Menschen denselben kulturellen Hintergrund haben oder derselben Religion angehören, sie nicht im selben Haushalt gelebt haben und nicht dieselben Eltern und selten dieselben Freunde hatten. Wie man mit Menschen umgeht ist eine Sozialisierungsfrage, die sich von Familie zu Familie unterscheidet. Es kann schon damit beginnen, wie man sich die Schuhe zubindet und wie man seinen Tee gerne trinkt – viel oder wenig Zucker. Verschiedene Dynamiken sind nicht immer verständlich und es ist auch keine persönliche Kritik gegenüber dem anderen, wenn man etwas anders macht oder anders sagt, sondern einfach eine Gewohnheit, die anders gelernt wurde.

Was kann Paartherapie was Religion nicht kann?

Religiöse Vorbehalte sind nicht unüblich, nicht nur für Muslime. Wie funktioniert es also? Die Frage lässt sich auf zwei Weisen beantworten. Gehst Du zum Arzt, wenn dein Körper Hilfe braucht? Wenn die Antwort ja ist, dann wirst Du sicherlich auch einsehen, dass manchmal auch die Seele Hilfe braucht. Paarberatung ist eine konkrete Situation, die sich auf die Schwierigkeiten des Paares konzentriert – also zwei Seelen. Die Lösungsansätze sind demnach nicht immer allgemein gültig und sehr speziell erarbeitet – als ob man sich ein Kleid maßschneidern lässt. Und zweitens, und viel wichtiger, Paartherapie soll Religion in keiner Weise ersetzen. Vielmehr soll sie, wenn vom Paar erwünscht, den Rahmen der Religion nutzen, um einen gemeinsamen Nenner zu finden. Oft sind Schwierigkeiten in der Ehe oder Beziehung auch keine Glaubensfrage, sondern Bestandteil der kulturellen Identität, die von Mensch zu Mensch variiert und sich von Generation zu Generation verändert. Paarberatung hilft dabei, sich als Individuum und Teil einer Beziehung weiterzuentwickeln und zu wachsen. Und Weiterentwicklung und Wachstum ist Bestandteil jeder Religion.

Der Fall Amina und Khaled ist tatsächlich nicht fiktiv. Inzwischen haben die beiden die Beratung abgeschlossen und scheinen einen sehr viel besseren Kommunikationsfluss zu haben. Worum es in der Beratung jedoch ging, würden sie doch lieber im Raum der Beratung lassen. Wichtig war, dass sie verstanden haben, dass Hilfe dieser Art nicht gegen die eigenen Werte oder den Glauben verstößt.

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