#AskIman: Islamische vs westliche Kindererziehung

Viele Eltern und muslimische Familien haben sich in den letzten Jahren an mich gewandt und um Rat gefragt, wie sie ihre Kinder psychologisch richtig in der westlichen Welt (islamisch) erziehen. Da ich mehrere solche Anfragen erhalten habe, will ich das Thema ohne eine individuelle Leserfrage beantworten, weil es so viele Familien in Deutschland und in Ländern mit westlichen Normen betrifft.

Viele Familien machen sich bereits im Kindergartenalter große Sorgen, wenn es um das Umfeld der Kinder geht. Wie wird es sein, wenn das Kind in den Kindergarten kommt? Was wird passieren, wenn es eingeschult wird? Und schlussendlich: Was geschieht in der Pubertät?

Ich habe schon häufiger erlebt, dass gerade aus dem Grunde Familien Schulen aussuchen, die im sozialen Brennpunkten liegen, nur weil der Anteil an muslimischen Kindern höher ist. Ist dies aber richtig?

Zunächst einmal muss man das schulische Umfeld an den Fähigkeiten des Kindes orientieren, denn nur das wäre für eine effektive und zukunftsweisende Schulerziehung fair. Aber natürlich ist das soziale Umfeld und Gefüge sehr wichtig. Wie löst man also dieses Dilemma?

Fast jeder versteht, dass die kindliche Identität sich vor allem in den ersten Jahren an den Eltern orientiert. Gerade dann ist es unglaublich wichtig, dass Eltern sich ausführlich mit den Kindern beschäftigen. Oft habe ich erlebt, dass Kinder nicht als kleine Menschen gesehen werden, die Gefühle und Gedanken haben, sondern als Lebewesen, die noch nichts vom Leben verstehen. Im grundgenommen ist der Gedanke auch nicht ganz falsch, jedoch wird dabei nicht beachtet, dass die ersten Lebenserfahrungen ein Schablone für die Zukunft bilden. Kinder, ihre kindlichen Sorgen und ihre Wahrnehmung von der Welt sollte man also ernst nehmen, so dass sie sich aufgefangen und geschätzt fühlen.

Ist die elterliche Bezugsperson also nicht präsent genug, sucht sich ein Kind schon sehr früh neue Orientierungspunkt und dies geschieht dann, wenn das Kind sich außerhalb des Zuhauses aufgehoben und verstanden fühlt. Und hier liegt oftmals das größte Risiko. Eltern sollten Kindern den Freiraum geben, den sie brauchen, aber immer der Ansprechpartner bleiben, ohne sie einzuengen oder zu bedrängen.

Erziehung beginnt Zuhause

Eltern müssen sich die Frage stellen, ob sie die muslimische Identität der Kinder tatsächlich fördern oder sie mit Angst und Schrecken durchbringen. Darf das Kind Fragen stellen, die unangenehm sind oder werde diese Fragen unzureichend beantwortet oder gar abgeschmettert?

Oft reicht es sogar, wenn die Eltern sich an ihre eigene Kindheit und Jugend erinnern. Was waren die Punkte und Themen, die die eigene Seele belasteten? Was hat im eigenen Elternhaus an Führung gefehlt?

Hinzu kommt, dass Eltern den Schwerpunkt auf weltliche Themen legen, wie zum Beispiel, wie kann mein Kind eine bestimmte berufliche Richtung einschlagen oder wie kann mein Kind ein integraler Bestandteil der Gesellschaft werden? Und natürlich sind diese Gedanken richtig und wichtig, aber zu selten stellen sich die Eltern die Frage, wie kann mein Kind in erster Linie eine muslimische Sichtweise entwickeln, auf die es stolz ist?

Manchmal ist aber auch schlicht und ergreifend der Zeitmangel. Wir leben in einer hektischen und schnelllebigen Welt. Oft müssen beide Elternteile arbeiten und sind dann so müde, dass kaum noch Zeit bleibt sich mit dem Alltag des Kindes zu beschäftigen.

Es ist schon schwer genug einem Kind gerecht zu werden, aber was wenn es sogar mehrere sind?

Islamische Identität aufbauen

Eine islamische Identität aufzubauen nicht immer einfach, aber mit einigen Tipps kann man zumindest einen Einstieg finden.

1. Religion von Kultur trennen.

Man muss diese Fehlgedanken und falschen Konzepte erstmal identifizieren. Kulturelle Traditionen, die man als selbstverständlich hingenommen hat, haben manchmal nichts mit der Religion zu tun. Wenn man die Trennung der beiden geschafft hat, sind mit einem Schlag schon viele Reibungspunkte eliminiert.

2. Muslimische Gemeinden finden, die zu einem passen.

Besonders dieser Punkt ist hinsichtlich des allgemeinen Klimas in der westlichen Welt nicht einfach, aber es ist nicht unmöglich. Schafft man es nicht eine Gemeinde zu finden, die zu einem passt, dann sollte man sein Bestes versuchen einen sozialen Kreis zu bilden, der die gleichen Vorstellungen von Kindererziehung und Religion hat. Wenn sich mehrere Familien mit Kindern sich zusammen tun, ist schon vieles geschafft. Das stärkt den Zusammenhalt auch unter den Erwachsnen.

3. Probleme selber lösen.

Hat man kein gutes Netzwerk? Keine Ahnung, wo man ansetzen soll? Im Zeitalter von sozialen Netzwerken kann man viele Probleme selber lösen. Gruppenbildung und Aufrufe sind im Internet inzwischen nicht mehr schwer. Man kann so Gleichgesinnte finden, die den Schwerpunkt nicht nur auf die Religion legen, sondern auch nach gleichen Interessen schaut.

Zum Beispiel kann man einen Ausflug in einen Freizeitpark oder Picknicks organisieren. Viele Eltern werden darauf anspringen und es ist eine gute Möglichkeit neue Menschen kennenzulernen.

4. Koran kindgerecht lehren.

Kinder verstehen komplizierte Predigten nicht. Schreiende Menschen im Fernsehen z.B werden Kinder nur abschrecken. Es reicht nicht, wenn Eltern die Verantwortung an andere abgeben, weil man glaubt nicht genug zu wissen. Man soll und muss darauf achten, wie das Kind nicht nur physisch, sondern auch intellektuell ernährt wird. Eltern sollten nach Büchern suchen, die sie für angemessen halten und mit den Kindern gemeinsam erkunden. Koranunterricht kann auch in der Familie stattfinden.

5. Gemeinsamkeiten mit Nicht-Muslimen finden.

Auf den ersten Blick erscheint dieser Tipp kontraproduktiv. Es ist aber sehr wichtig für Kinder und junge Erwachsene zu erkennen, dass eine andere Glaubensrichtung sie nicht zu Aliens macht. Man muss lernen die eigene islamische Identität stolz zu leben ohne sich von der Gesellschaft ausgeschlossen zu fühlen. Nur so wird eine Integration funktionieren und die Zufriedenheit des Kindes gewährleistet. Muslimische Kinder und Jugendliche wenden sich genau deshalb oft von der Religion ab, weil sie das Gefühl haben keinen Platz in der Welt zu finden. Sie fühlen sich anders. Sie empfinden, dass das Leben zuhause nichts mit dem Leben in der „wirklichen“ Welt gemein hat. Dem kann man entgegen wirken, wenn man zeigt, dass ein Zusammenleben der beiden Welten parallel nicht nur möglich, sondern auch richtig ist. Menschen sind, auch wenn sie anderen Religionen angehören, nicht signfikant verschieden. Wir alle müssen atmen, um zu überleben. (Denkanstoß!) 

6. Freund/in des Kindes sein.

Je kritischer das Thema desto mehr Vertrauen ist gefragt. Kinder dürfen keine Angst haben mit den Eltern zu sprechen, Fehler zu begehen und sie zu zugeben. Man darf nicht zu lassen, dass Kinder schon früh verstehen, dass einige Themen zuhause nicht angesprochen werden dürfen. Das führt zu einer Doppelindentiät. Man muss sich also immer die Frage stellen, bin ich die erste Ansprechperson meines Kindes, wenn es Schwierigkeiten und Sorgen hat? 

 

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