Liebes Berufsleben

[:de]Liebes Berufsleben,

hätte ich das gewusst! Ein großer Riss zieht sich durch Dich. Auf der einen Seite: Mein Werdegang, meine erbrachten Leistungen und Ambitionen. Auf der anderen: Die Wahrnehmung meiner Person. Neulich wurde ich im Büro wieder hieran erinnert:

Ein Herr stand dort vor der Glastür. Da sich das ein oder andere Mal Leute zu uns in den 5. Stock verirren, fragte ich freundlich, ob ich helfen könne. Er verneinte und erklärte, dass eine andere Kollegin bereits informiert sei und diese gleich wiederkäme. Wir verabschiedeten uns (alles auf deutsch), doch bevor die Tür zufiel, rief er mir ein „Und Welcome to Germany“ hinterher. Nach einem innerlichen „mmmmh“ fragte ich unschuldig: “Wie bitte?!“ Er wiederholte es (diesmal aber noch lauter), worauf ich ihn nach dem Grund für seinen Willkommensgruß fragte (als ob ich es nicht wüsste :/). Er erwiderte: „Ja, wegen dem Tuch!“ Ich überlegte kurz, ob ich ihn darauf hinweisen sollte, dass wegen den Genetiv erfordert (also wegen des Tuches), beließ es aber dabei.

Während meiner Zeit mit Dir, liebes Berufsleben, gab es einige Situationen, in welchen mein Aussehen und/oder (vermeintliche) Herkunft, für große Verwirrung sorgten.

Es fing mit meinem ersten Job als 12-Jährige an. Ich war Babysitterin und ging zweimal die Woche für etwa zwei Stunden mit einem Baby im Kinderwagen spazieren. Ich saß nichtsahnend auf einer Bank in der Ausübung meiner Tätigkeit, als ein ältere Frau quer über den Platz schimpfte und schrie: „Diese Sch…Ayslanten, sogar deren Kinder machen Kinder!“ Ich drehte mich um, um nach der Person Ausschau zu halten, die sie denn meinen könnte. Irgendwann merkte ich, dass ich es war. . . Es waren die 90er und überall sprach man von „Asylanten“ (einige Dinge ändern sich wirklich nicht).

Oder als ich ein anderes Mal mit Kollegen im Eingangsbereich eines schicken Pariser Restaurants stand und ein ankommender Gast bei mir (mehrmals!) nach einem Tisch für 4 fragte (damals trug ich noch keinen Hijab).

Oder als mein ehemaliger Chef nur meinem männlichen Kollegen (gelernter Hotelfachmann) einen neuen Gesetzestext zur Besteuerung von Flugstrecken zeigte und meinte, man müsse Jurist sein, um das zu verstehen (ich saß im gleichen Büro und habe Wirtschaftsrecht studiert).

Es ist nichts Verwerfliches daran, geflüchtet, eine Empfangsdame oder Hotelfachfrau zu sein. Es handelt sich nur um eine Art von Fremdbestimmung, die einem die Freiheit nimmt, das zu sein, was man will/könnte. Selbst wenn es nicht in allen Fällen böse gemeint war (lieber Herr vor der Eingangstür, vielen Dank für den Willkommensgruß), nur leider besteht auch bei ihnen eine gewisse Penetranz (denn sie neigen dazu, zu insistieren) und Arroganz („ich weiß und sag Dir, wer Du bist“). Es sind mehr als nur Stolpersteine, sich beruflich selbst zu verwirklichen, denn man wird nicht als Individuum wahrgenommen.

Du, liebes Berufsleben, gibst mir das paradoxe Gefühl, ständig unterschätz zu werden und trotzdem mehr leisten zu müssen, weil von einem mehr erwarten wird. Ich achte zum Beispiel darauf, möglichst keine Grammatikfehler zu machen (vor lauter Aufregung mache ich dann doch welche), weil dann die kompletten Kenntnisse der Sprache und sonstige Fähigkeiten in Zweifel gezogen werden (selbst wenn es eigentlich die Muttersprache ist und unabhängig davon, ein Akzent oder ähnliches kein Zeichen von geringerer Intelligenz ist). Aber deswegen weiß ich eben auch, dass wegen den Genetiv erfordert.

Ich gebe zu, im Alltag ist es sehr teilweise hilfreich. Wenn ich dann doch mal für eine Straßenumfrage angesprochen werde (ich habe den Eindruck, dass ich nicht unbedingt zur Zielgruppe zähle, weil die Meinung von Leuten wie mir eh nicht zu zählen scheint), antworte ich einfach: „Nix verstehen“ und gut ist.

Trotz allem habe ich auch wirklich positive Erfahrungen in der Arbeitswelt machen können. Dadurch musste ich selber meine Vorurteile, die ich mir zum Schutz aufgebaut habe, um nicht enttäuscht zu werden oder unnötig Energie zu verschwenden, hinterfragen. Es hilft mir auch dabei, auf dem Boden zu bleiben und zu wissen, dass es wichtigeres gibt, als nach der Anerkennung von Menschen zu streben (Dunya eben). Was mich aber anspornt, ist ein Zeichen zu setzen und anderen die Türe zu öffnen und zu motivieren, darauf hinzuarbeiten, dort zu sein, wo man sie am wenigsten erwarten, nämlich überall.

Also, mein liebes Berufsleben, ich bin noch lange nicht fertig mit Dir!

 

Kollegiale Grüße

 

Raya

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