Die Schwarze Wolke – Wenn die Seele leidet

 

Jasmina ist 26 und studiert im 12. Semester Medizin. Als sie vor einigen Jahren die Zusage fürs Studium erhielt, ging für sie ein lebenslanger Traum in Erfüllung. Sie kann sich keinen anderen Beruf für sich vorstellen. Die ersten Semester waren zwar schwer, aber gingen gut voran. Seit einiger Zeit schafft Jasmina es aber nicht mehr aus dem Bett zu kommen. Ständige Müdigkeit begleitet sie überall hin, als ob sich jeden Moment eine Grippe anbahnen würde, die aber niemals ankommt. Und überhaupt hat sie gar keine Lust mehr zu sprechen, nicht mal mit ihren engsten Freunden. Neulich beim Familienfest sprach ihr Vater wieder voller Stolz über seine Tochter. Sie wird Ärztin. An Ärztin werden ist im Augenblick gar nicht zu denken. Am liebsten würde sie mit abgedunkelten Fenstern in ihrem Bett liegen und einfach nur schlafen. Lange schlafen. Aber das ist nicht möglich. Jasmina ist die älteste von vier Schwestern, lebt mit ihrer Familie in einer 3 Zimmer Wohnung im Berliner Stadtteil Neukölln. Mit anderen Worten: Sie ist niemals allein. Es ist immer laut, immer ist der Fernseher an oder jemand lacht, weint oder schreit. All die Geräusche, die noch vor zwei Jahren Heimat bedeuteten, stechen ihr jetzt intensiv ins Ohr, als würde eine Nadel gezielt das Trommelfell durchbohren. Oft bleibt sie länger als geplant im Badezimmer und weint unter der Dusche. Warum nur? Das Leben hat es gut mit ihr gemeint. Zwar hat sie die letzten Klausuren alle verhauen, aber sie hatte auch nicht richtig gelernt. Ständig war sie unkonzentriert und leicht abgelenkt. Da war es kein Wunder, dass sie versagt hat. Versagt hat… VERSAGEN. Ja, sie fühlt sich wie ein Versager und je länger es dauert in die Gänge zu kommen desto schwieriger wird es die Angst zu kontrollieren. Was wenn sie wieder durchfällt? All diese Gedanken und die ständige Müdigkeit legen sich wie eine schwarze Wolke über Jasminas Körper und Leben. Eine schwarze Wolke, die sie bis in die Knochen zu lähmen scheint. Und da war sie wieder, die Gewissheit ein Versager zu sein und alle enttäuscht zu haben. Ihre jüngere Schwester Nadia nannte sie noch vor zwei Tagen einen faulen Sack, weil sie die Teller unter ihrem Bett nicht in die Küche bringt. Neben den Tellern liegen die Lehrbücher, die sie gar nicht mehr öffnet, nicht mal, um so zu tun als ob. Vermutlich wird sie das Studium niemals schaffen und der Traum vom Arztleben ist vorbei ehe er begonnen hat.

Obwohl Jasmina auf dem besten Wege ist Ärztin zu werden, unterschätzt sie ihre Situation und das ist gar nicht unüblich, denn Jasmina ist depressiv. Und nicht im umgangssprachlichen Sinne, sondern im klinischen.

So fühlt es sich an, wenn die Seele krank wird. Leider wird immer noch zu selten darüber gesprochen. Depression ist eine Krankheit, die oftmals professionelle Hilfe erfordert. In manchen Kulturkreisen ist Depression jedoch nach wie vor ein Mythos. Die eigene Unwissenheit und die der Umgebung machen für Betroffene die Akzeptanz des eigenen Zustandes noch sehr viel schwerer. Was kann man tun, wenn man schleichende Veränderungen der seelischen Gesundheit an sich selbst oder an anderen in der Familie feststellt? Wie kann man sich selbst oder anderen helfen?

Der Gedanke an Aktivitäten, die helfen, scheinen für Depressive wie ein Langstreckenlauf ohne Kondition. Es ist aber wichtig zu erkennen, dass schwere Aufgaben nicht unmöglich sind.

Tipp 1: Schritt für Schritt

Ist man selber depressiv oder hat depressive Menschen im Umfeld, ist es sehr wichtig eine Besserung nicht zu erzwingen wollen und auf schnelle Ergebnisse zu hoffen. Normale Aktivitäten, wie einen Spaziergang machen, erfordern eine ungeheure Kraft. Umso wichtiger ist es zu erkennen, wenn man kleine Dinge im Alltag meistert und dafür gelobt wird. Jeder geschaffte Schritt ist ein Schritt in Richtung Besserung. Außerdem sollte man nicht erwarten, dass nach besseren Tagen direkt alles wieder gut ist. Für Depressive geht es oft einen Schritt nach vorne und zwei zurück. Für Außenstehende, aber auch Betroffene, sind Geduld und Nachsicht die magischen Schlüsselworte. Wichtig ist jedoch den Fokus nicht zu verlieren.

Tipp 2: Beziehungen aufrecht erhalten oder wiederbeleben

Isolation und Einsamkeit sind wesentliche Faktoren, die Depression verschlimmern. Der Gedanke Familienmitglieder oder Freunde um Hilfe zu bitten, kann Scham auslösen. Oftmals hat man auch gar keine Kraft zu sprechen. Hat man sich länger nicht gemeldet, fühlt man sich schuldig und der Freundschaft oder Beziehung unwürdig. Man muss sich aber daran erinnern, dass die Krankheit die Sichtweisen diktiert. Oft sind Menschen in der Umgebung froh, wenn sie wissen was los ist und einfach da sein können. Wie geht man das am besten an?

  • Suche dir Selbsthilfegruppen, die deine Situation verstehen. Verstanden werden reicht oft um die Stimmung ein wenig zu heben.
  • Fang mit kurzen Verabredungen an. Lange Treffen können überfordern. Weiß die Person, die du triffst von deinen Umständen, werden wenige Minuten kein Problem darstellen. Oft ist man überrascht dann doch länger geblieben zu sein.
  • Sportkurse wirken Wunder. Bewegung ist sehr wichtig, aber der soziale Aspekt kann neue Freundschaften entstehen lassen.
  • Sollte direkte Interaktion noch zu schwer sein, fang ruhig mit den digitalen Medien an, um Kontakt zu Familie und Freunden zu halten.

Tipp 3: Bring Bewegung rein!

Wenn man depressiv ist, will man oft nicht mal aus dem Bett und den Tag beginnen. 30 Minuten Bewegung können aber schon helfen. Auch hier gilt: kleine Schritte führen zum Ziel. Fang mit 15 Minuten an.

  • Lauf schnelle Schritte ohne dich vom Platz zu bewegen, wenn kein Platz da ist. Oft helfen schnelle Rhythmen dabei.
  • Treppen statt Aufzug.
  • Das Auto weiter als gewohnt parken, um länger gehen zu müssen.
  • Jemanden finden, der auch Bewegung braucht.

Fakt: 10 Minuten gehen kann die Stimmung bis zu 2 Stunden heben.*

Tipp 4: Negative Gedanken herausfordern

Depression verändert alles. Vor allem aber das Selbstbild. Oftmals reichen Gedanken wie „Ich bin nutzlos, wertlos, hässlich, ein Versager…“ aus, um sich tagelang schlecht zu fühlen. Positives Denken ist aber kein Hustensaft. Man kann nicht von 0 auf 100 jeden negativen Gedanken mit einem positiven ersetzen. Auch hier: langsam.

  • Frag dich, ob du die Dinge, die du dir selber sagst, auch anderen sagen würdest, wenn das nicht der Fall ist, denk dir realistischere Dinge aus. Weniger hart.
  • Perfektion loslassen: Niemand ist und wird je perfekt sein. 100% ist eine Illusion, die unsere Gesellschaft leider zu häufig aufs Podest hebt. Erlaube Dir Fehler!
  • Führe ein Tagebuch oder Notizbuch mit all den negativen Gedanken. Wenn du einen besseren Moment hast, lies dir die Einträge nochmal durch und frag dich, was davon tatsächlich wahr ist.
  • Denk nicht für andere: Viele Unsicherheiten entstehen, weil man glaubt zu wissen, was andere von einem denken. Hier ist die gute Nachricht: Niemand kann Gedankenlesen. Und die meisten Menschen befassen sich mit ihrem eigenen Leben und Herausforderungen. Niemand hat wirklich Zeit lange an andere zu denken. Dinge, die dir nicht an dir gefallen, fallen anderen oft kaum auf.

Tipp 5: Gesund essen

Viele werden denken, dass gesund essen naheliegend ist. Oft aber leichter gesagt oder gedacht als getan. Depressive essen oft zu wenig oder zu viel. Eine ausgewogene Ernährung hilft aber dem Körper. Kochen kann außerdem eine Routine in den Alltag bringen.

Wichtig: Keine Mahlzeit auslassen. Zucker minimieren. Vitamin B tanken. Das Defizit des Vitamins kann zu Depressionen führen.

Tipp 6: Professionelle Hilfe suchen

Die oben genannten Tipps sind oft ein Anfang, aber manchmal schafft man es nicht allein. Der Gang zum Hausarzt kann dann helfen, um eine Überweisung zu erhalten. Oder man setzt sich mit der Stiftung für Deutsche Depressionshilfe in Verbindung.

*John Hopkins Health Alert

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