Neslihan Kapucu im Interview

Neslihan Kapucu – eine Pionierin, die es geschafft hat mithilfe der Mode zwei Kulturen zusammen zu bringen. Im Interview mit BASMA erzählt sie uns von ihren Hürden, Herausforderungen und wie es ist als Hijabi am Düsseldorfer Fashion Design Institut zu lehren.

BASMA: Neslihan, woher hast du dir damals das Selbstbewusstsein geholt Fashion Design als Hijabi zu studieren, obwohl dir damals viele davon abgeraten haben?

Neslihan: Dieses Selbstbewusstsein hängt sehr stark mit meiner Familie zusammen. Meine Eltern haben schon immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass meine Schwester und ich selbstbewusst und unabhängig werden. Sie hätten gerne gesehen, dass ich Medizin studiere, doch ich hatte schon sehr früh Interesse an Mode. Mein Traum war es immer Kleidung für alle Menschen zu kreieren. Und so hat meine Leidenschaft für Mode meinen Weg bestimmt und ich habe mich für Fashion Design entschieden.

BASMA: Welche Rolle haben Eltern, wenn es um die Verwirklichung der eignen Träume geht? 

Neslihan: Es ist ganz klar: wenn die Eltern hinter einem stehen, fällt vieles einfacher. Gerade für meinen Studiengang braucht man ehrlich gesagt die Unterstützung von Freunden und Familie. Ich musste zum Beispiel sehr oft zu Hause nähen. Gerade kurz vor einer Abgabe hat man nachts um drei Uhr noch das Surren der Nähmaschine hören können. Man kann sich das Szenario ja vorstellen: den Stoff im Zimmer ausbreiten, zeichnen, nähen, anpassen. Sowohl meine Eltern, als auch meine Schwester mit der ich ein Zimmer teilte, mussten am nächsten Tag früh raus. Hier mussten wir Kompromisse finden, die für alle tragbar sind.

Mein Vater ist auch sehr oft mit mir auf die Suche nach schönen Stoffen gegangen und hat mich bei der Auswahl unterstützt. Es sind schöne Erinnerungen, die mich bis heute positiv verfolgen und stärken. Ich kenne das islamische Vorurteil des strengen Vaters nicht. Ich habe es nie erlebt.

BASMA:  Was macht dir mehr Spaß: das Lehren oder das Arbeiten im Atelier? 

Neslihan: Mit Studenten zu arbeiten und sie zu unterrichten macht sehr viel Spaß. Es gibt natürlich auch Tage an denen das nicht so ist, wenn z.B. das Thema nicht gut ankommt. Es gibt auch Tage im Atelier an denen ich mich Frage: „Warum mache ich das eigentlich?“ Und dann gibt es wieder diese Momente in denen ich mitten in der Nacht im Atelier sitze und einfach glücklich bin. [lacht]

Ich kann gar nicht pauschalisieren und sagen was mehr Spaß macht. Wie in jedem Bereich oder Job kommt es auf die Mischung an. Ich finde beide Seiten ergänzen sich sehr gut.


„Ich kenne das islamische Vorurteil des strengen Vaters nicht. Ich habe es nie erlebt.“ – Neslihan Kapucu


BASMA:  Wie hast du damals reagiert, als du das Angebt bekamst als Dozentin am Düsseldorfer Fashion Design Institut zu arbeiten? 

Neslihan: Es war total überraschend für mich und ich war im ersten Moment sehr perplex. Ich  habe vor Freude selbstverständlich sofort zugesagt. [lacht] Natürlich war ich etwas nervös, da die Studenten damals fast genauso alt waren wie ich selbst, manche sogar älter.  Eine der ersten Hürden bestand also darin mir trotz des geringen Altersunterschieds Respekt zu verschaffen.

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Bild: Melek Arslan für BASMA

BASMA:  Vor ein paar Jahren war es noch relativ untypisch Frauen mit Kopftuch mitten im Arbeitsleben vorzufinden. Wie hast du es geschafft, dass deine Studenten dich ernst nehmen? 

Neslihan: Ich habe damals einfach meine Studenten gefragt, wie sie es empfinden von einer Hijabi unterrichtet zu werden. Für manche war es kein Problem, sie haben das Kopftuch gar nicht wirklich wahrgenommen. Andere meinten es sei komisch gerade von einer Frau mit Kopftuch über Design unterrichtet zu werden. Aber die Fragen zum Thema Hijab sind mit den Jahren weniger geworden, stattdessen geht es fast ausschließlich um Fachfragen. Natürlich waren auch viele witzige Momente dabei, gerade dann, wenn Studenten aufgrund meines Alters dachten ich sei eine von ihnen.

BASMA:  Was ist deine erfolgreichste Kollektion?

Neslihan: Meine ONE WAY Kollektion. [lacht]

BASMA:  Könntest du dir vorstellen diese wieder zum Leben zu erwecken?

Neslihan: Ja, denn die Wurzeln dieser Kollektion finden sich in allem wieder, das ich kreiere. Es spiegelt mich und das, wofür ich stehe, wider. Hinter der ONE WAY Kollektion steckt eine tiefgehende Recherche, die mit vielen Interviews verbunden ist. Ich war mit Leib und Seele dabei. Ich habe schon drei Jahre im Voraus angefangen an dieser Kollektion zu arbeiten. Und bereits im dritten Semester stand fest, dass ich meine Abschlusskollektion den Gastarbeitern Deutschlands widmen werden. Wahrscheinlich wird sich keine meiner weiteren Kollektionen mit der ONE WAY Kollektion messen können.

BASMA:  Welche Message sollte die ONE WAY Kollektion überbringen? 

Neslihan: In erster Linie sollte die Kollektion die Gastarbeiter widerspiegeln. Viele Leute sprechen über Gastarbeiter, aber niemand hat sich bisher bei Ihnen bedankt. Deshalb wollte ich das mit dieser Kollektion tun. „Danke Opa. Danke Oma. Danke Mama. Danke Papa.“ sagen. Dafür, dass sie all die Hürden auf sich genommen haben, um uns ein besseres Leben und eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Sie haben dafür vieles zurückgelassen und auch vieles verloren.

Ich habe damals bei der Abschlusspräsentation eine Rede vor der Jury halten müssen, in der ich die Kollektion erläutern sollte. Mein Ziel war es bildlich darzustellen, dass unsere Vorfahren mit nur einem „Koffer“ nach Deutschland gekommen sind. Und in diesem „Koffer“ war ihre Landesküche, ihre Religion, ihre Sprache – einfach alles. Es war nicht nur ein normaler Koffer mit Kleidung, sondern ein komplettes Leben, das sie mit nach Deutschland genommen haben. Sie haben diesen „Koffer“ mitgenommen, damit er von Generation zu Generation weitergegeben werden kann.

Die Kollektion soll aber nicht als reine Gastarbeiterkollektion wahrgenommen werden, sondern auch im Bezug zur jungen Generation. Noch heute lebe ich die Message dieser Kollektion. Denn wir sind weder ganz deutsch, noch ganz türkisch. Wir sind die goldene Mitte. [lacht] Ich mag es total diese Mitte zu sein. Es ist für mich Luxus ein Migrant zu sein. Ich kann ohne Probleme hier in Deutschland leben oder auch in der Türkei. Diese Freiheit ist Gold wert.

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Bild: Melek Arslan für BASMA

BASMA: Ist deine Hauptinspiration die türkische Kultur in Beziehung mit dem deutschen Flow?

Neslihan: Meine Philosophie ist es Mode für alle zu machen und ich ziehe mir hierfür die Inspiration aus allen Kulturen. Irgendwo werden und haben die Kollektionen natürlich immer einen Bezug zum Orient, dabei muss es nicht unbedingt türkisch sein. Der Orient ist ja ein Mix aus verschiedenen Kulturen von den Türken und Persern bis zu den Arabern. Entweder sind die Schnitte sehr westlich oder die Stoffe orientalisch oder umgekehrt. Es wird immer etwas dazwischen sein, die goldene Mitte eben. [lacht] 


„Ich habe sogar mal eine Kollektion weggeworfen.“ – Neslihan Kapucu


BASMA:  Bist du der typische Designer? Der zum Ende hin seine Kollektion hasst?

Neslihan: Ja, definitiv! Ich kann die Kollektion am Ende nicht mehr sehen. Ich habe sogar mal eine Kollektion weggeworfen. Das war während meines Studiums. Ich habe die Kollektion direkt nach der Prüfung weggeworfen, weil ich den Stoff nicht mehr sehen konnte. Meine Kommilitonen waren damals geschockt. Für mich ist es so als würde man jeden Tag das gleiche Gericht essen. [lacht]

BASMA: Wie stehst du zum Hype um die Abaya Kollektion von Dolce&Gabbana? 

Neslihan: Ich kann den Hype um die Kollektion nicht verstehen. Es ist an sich eine schöne Kollektion, auch die Fotos und die gesamte Präsentation ist wundervoll. Es ist aber auch keine Kollektion, bei der ich sagen würde „Wow das habe ich jetzt zum ersten Mal gesehen“. Man findet darin kaum etwas wieder für das D&G eigentlich bekannt ist. Es gibt genug islamisch geprägte Labels, die diese Kollektion längst getoppt haben – in Bezug auf die Schnitte und den Stoff. 

BASMA: Wie gehst du mit Copycats um? 

Neslihan: Ich mag den Spruch nicht: „Wenn ich kopiert werde, weiss ich, dass ich einen guten Job mache.“ Ich muss nicht kopiert werden, um zu wissen, dass ich einen guten Job mache. Ich gehe damit aber sehr gelassen um. Natürlich lässt mich das nicht kalt, wenn ich sehe das einige meiner Stücke kopiert werden. Es regt mich schon auf, aber es ist kein Grund sich daran aufzuhalten.  Es ist nur ein Grund mehr besser zu werden. Menschen, die etwas in dieser Welt bewegt haben, wurden schon immer kopiert. Seien es deren Zitate, Entwicklungen oder Erfindungen. Letztendlich bekommen aber nur die Pioniere die Anerkennung. Das Original hat sich schon immer von der Kopie unterschieden.

BASMA:  Denkst du, dass man über Fashion Vorurteile abbauen kann?

Neslihan: Ich denke, dass man durch Mode die Menschen zum Nachdenken bringen kann und das ist ja schon ein Ansatz. Ich denke aber, dass man damit nicht alles verändern kann. Das Gesamtpaket macht es aus. 

BASMA:  Deine größte Angst? 

Neslihan: Ich habe vor nichts Angst. Ich vertraue auf Allah (swt) und gebe mein Bestes. Auch wenn ich nicht alles perfekt hinbekomme. Ich versuche einfach alles und wenn es nicht klappt, dann hat auch das etwas Gutes an sich.

BASMA:  Was ist der Ratschlag, den du jeder Designerin oder jedem Designer weitergibst? 

Neslihan: Du musst nicht immer als perfekt können. Du solltest von allem etwas können.  Seien es Schnitte, Fotografie oder Politik. 

BASMA:  Bekommen wir Exklusivinfos bezüglich deiner nächsten Kollektion?

Neslihan: Ich arbeite sehr hart daran bald meinen Onlineshop zu launchen. Ihr dürft also in den nächsten Monaten mit etwas Neuem rechnen. 

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Bild: Melek Arslan für BASMA

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