Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Wie kam ich überhaupt dazu, so zu denken? Oder müsste es heißen: Wer erlaubt mir überhaupt zu denken? Vielleicht liegt es einfach an meiner Art zu denken. Oder ich habe vorher nicht genug nachgedacht. Vielleicht ist es einfach nicht ‚in‘ so zu denken. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ist mir eh egal.
Naja, vielleicht war es total uncool, als 28-jährige „Modetussi“ auf 17-Zentimeter-Heels im Backstagebereich – eines der größten Modest Fashion Events des Jahres, bei dem haufenweise Muslime zusammenkommen – nach einem Gebetsraum zu fragen. Ja, den Blicken nach zu urteilen, die mir zugeworfen wurden, müsste das absolut uncool von mir gewesen sein… Es waren viele Blicke. Verschiedene Blicke. Ich konnte sie nicht genau zuordnen. Ich kann es bis heute nicht.
Aber jetzt im Nachhinein wird mir einiges klar! Stimmt ja. Ich komme aus Deutschland und nicht aus Islamien. Und das war London und definitiv nicht Islam City. Sorry, hätte besser mitdenken sollen.
Falls es jedoch an meinen Schuhen gelegen haben sollte: Nächstes Mal frage ich in Ballerinas. Aber so oder so hätte ich sie zum Gebet ausgezogen…
Ist es eigentlich das, was in den Medien als „strenggläubig“ bezeichnet wird? Oder war das sogar schon extremistisch und total salafistisch von mir? Oder wurde mir anhand irgendwelchen Äußerlichkeiten bloß nicht zugetraut ganz ohne Hilfe beten zu können? Ich weiß es nicht. Was ich aber genau weiß: Ich war über 16 Stunden im selben Gebäude. Es gab dort fast alles. Nur keinen Gebetsraum.
Es gab Essen und Trinken ohne Ende. Models ohne Ende. Künstler ohne Ende. Man hatte Spaß, unterhielt sich bei guter Musik, schaute sich die Kollektionen der Award-nominierten Designer an, traf auf die ein oder andere Internet-Berühmtheit, dann folgte die nächste Show… Und so verflog die Zeit. Einfach so.
Klar waren die Shows ein voller Erfolg und eine Bereicherung in jeder Hinsicht. Trotzdem war da so eine Leere, die sich nicht mit Worten beschreiben lies. Wer „unbedingt“ beten wollte, quetschte sich in die Model-Garderobe zwischen die ganzen Designer-Kleidchen, um ein etwas ruhiges Eckchen – an der wohl glamourösesten Stelle der Welt, die man sich zum Beten vorstellen könnte – zu finden.
Das wurde übrigens von so einigen in Anspruch genommen. Okay, ein Extra-Raum wäre vielleicht aus organisatorischen Gründen nicht realisierbar gewesen, verstehe ich absolut. Trotzdem braucht man mich nicht wie eine Außerirdische anzuschauen, oder? Ich wollte nur einen Raum zum Beten und nicht zum Pilgern!
Aber gut zu wissen, dass es wohl manchen Menschen nicht ganz „gestattet“ oder zumutbar ist, sich mit tiefgründigen und spirituellen Themen wie dem Glauben und dessen Ausübung auseinanderzusetzen. Denn Mode zählt ja bekanntlich zu den oberflächlichsten Dingen dieser Welt. Und alle Menschen, die mit Mode zu tun haben auch, oder wie?
Wisst ihr denn nicht, mit wievielen tiefgründigen Gefühlen und Emotionen eine „normale“ Dior-Tasche verbunden ist? Nein, nicht nur für den Designer im Entwurf und der Herstellung. Ich spreche vielmehr über die Gefühlszustände der ach so oberflächlichen Trägerin: Erst will man die Tasche unbedingt und bildet sich ein, nicht mehr ohne sie leben zu können. Auch Verliebtheit genannt. Wenn dieser Zustand länger andauert, dann ist es eindeutig Liebe. Ehrliche Liebe aus den Tiefen des Herzens. Dann wird jeder Cent wie verrückt gespart, bis man selbst – und notfalls auch die eigenen Kinder und Kaninchen – fast am Verhungern ist. Eine sehr, sehr tiefe Phase des Lebens. Beim Kauf entsteht dann dieses überbewertete und oberflächliche Glücksgefühl. Hält aber erfahrungsgemäß nicht wirklich lange an. Die Hardcore-Oberflächlichen unter uns werden gerade genau wissen, was ich meine! Was danach kommt, ist eine Phase der tiefen Trauer und Reue. Auch Depression genannt.
Ausgelöst durch viele kleine süße Briefchen, die sich im Briefkasten stauen. Auch Rechnungen genannt. Meist von anderen noch nicht bezahlten Oberflächlichkeiten, die nur oberflächliche Menschen für sich, ihre Kinder und Kaninchen kaufen würden. Und da geht’s erst richtig los mit den tiefen Gefühlen. Kaum vorzustellen, was? Na eben! Dann vielleicht beim nächsten Mal nicht zu früh urteilen…