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Hafssa von feigenundoliven hat sich diesen Ramadan das Ziel gesetzt, während des heiligen Monats auf Fleisch zu verzichten. Die Gründe dafür und ihre Erfahrungen teilt sie mit uns:
Vorab: Ich möchte weder belehrend, noch moralisch wirken. Es ist ausschließlich meine persönliche Erfahrung und Einstellung, die ich gerne teilen und zur offenen Diskussion stellen will.
Fleisch war ein grundlegender Bestandteil meiner Ernährung in meiner Kindheit und Jugend. Ohne Hinterfragen. Es gehörte einfach dazu und war selbstverständlich. Bis zu dem Zeitpunkt des Aufsichgestelltseins, wo ich mir phasenweise kein Fleisch leisten konnte und dann vor der Frage stand: „WAS DANN? – Schon wieder Nudel mit Tomatensoße…“ Kreativität und Einfallsreichtum in der Küche hielten sich in Grenzen. Bis ich mich schließlich doch durchgerungen habe, mich mit der „Mystik“ der vegetarischen Küche zu beschäftigen, um relativ schnell zu merken, dass sie gar nicht sooo schlecht und durchaus auch sättigend und stärkend ist. Das liegt fast zehn Jahre zurück.
Heute ist ein grundlegender Bestandteil meiner Ernährung grün. Vor allem meine Gesundheit dankt es mir, denn die Wahrung der Gesundheit ist primär durch die Ernährung geprägt.
Ich lebe überwiegend vegetarisch. Überwiegend, das heißt Fleisch (dazu zähle ich auch Fisch, ich mache da kein Unterschied) ist KEIN Tabu. ABER es gibt Fleisch und es gibt Fleisch. Ich gebe zu, mein Entschluss, überwiegend vegetarisch zu leben, kommt nicht daher, dass es mir nicht schmeckt. Es schmeckt mir sogar sehr gut. Ich habe es gern gegessen und esse es unter bestimmten Bedingungen immer noch gern. Doch ich bin Muslima. Und als Muslima weiß ich, dass alle Facetten des Lebens durch meinen Glauben geprägt sind. Und die Ernährung ist kein geringer Teil davon.
Unser Körper ist ein Motor.
Ein Motor muss behutsam gepflegt, gestärkt und manchmal repariert werden. Von der spirituellen Seite ganz zu schweigen. Also was gebe ich ihm? Soll ich ihm das Fleisch eines Tieres geben, das unter grauenhaften Bedingungen aufwuchs, ernährt und ohne Bedenken geschlachtet wurde? Soll DIESES Fleisch meinen Körper und Geist stärken? Darf ich als Muslima einfach darüber hinweg sehen, wie dieses Lebewesen, dessen Fleisch ich mir zuführe, gelebt hat, weil es mit einem „Halal-Zertifikat“ versehen war? Unter uns – dieses Zertifikat ist für mich persönlich absolut wertlos.
Es war für mich immer eine faule Ausrede, meinen Konsum zu rechtfertigen. Halal beginnt damit, WIE das Tier gelebt und gehalten wurde. Nicht ob der Schlachter (als ob, es sind Maschinen die den finalen Schnitt machen) „Bismillah“ ausruft, bevor er das Tier erlegt. Während ich gerade das schreibe, merke ich wieder wie die Wut in mir aufsteigt. Gegenüber mich selbst und die Community. Der Islam ist für mich ein intellektuelles Glaubenssystem – also auf gut deutsch: WEN will ich verarschen (ihr merkt meine Wut – kommt nicht mehr vor -sorry). Wen? Der eine Gott, der jede Zelle meines Körpers erschuf und kennt? Oder mich selbst? Wir schauen mit Adleraugen darauf, ob irgendwo eine E-Nummer auf einem Produkt versehen ist, die EVENTUELL tierischen oder alkoholischen Ursprungs ist, aber uns ist es egal, wie das Tier, das gelebt, geatmet, gefühlt hat, aufgewachsen und geschlachtet wurde. Dieses Tier wurde vom selben Gott erschaffen, der auch mich erschuf. Also wie in Gottes Namen kann es mir egal sein? Wo ist da die Liebe zu Gott, zum Leben, zu unseren Mitlebewesen. Die, ohne dass sie sich dafür bewusst entschieden haben, uns mit vielen Dingen versorgen, nicht zuletzt mit ihrem eigenem Fleisch.
Mit diesem Hintergrund war es für mich fast schon selbstverständlich, den heiligsten aller Monate vegetarisch zu gestalten.
Spiritualität beginnt für mich damit, wie man mit sich und seiner Umwelt umgeht. Um fast 18 Stunden an einem Sommertag ohne Nahrung auszukommen braucht mein Körper Energie, die er leicht aufnehmen und verwerten kann (Fleisch braucht mehrere Stunden um komplett verdaut und verarbeitet zu werden). Es ist schon längst kein abenteuerliches Unterfangen mehr, ein vegetarisches Rezept zu finden und zu kochen. Es ist immer mehr an die Oberfläche durchgerungen – Gott sei Dank – was gesunde Ernährung ist und bedeutet. Der Markt boomt, was Kochbücher und Produkte für eine pflanzliche Ernährung angeht. Deshalb war es tatsächlich nicht schwer, einen kompletten Monat ohne Fleisch zu leben. Wichtig war für mich, alles abzudecken, was der Körper zum Leben und Arbeiten braucht und für Inhaltsstoffe, die normalerweise meist über Fleisch gewonnen werden, einen pflanzlichen Vertreter zu finden.
Meine liebsten Vertreter sind Hülsenfrüchte! Meiner Meinung nach absolut unterschätzt! Man kann aus ihnen so viele Variationen an Gerichten zaubern, nicht zuletzt Fake – Frikadellen oder Burgerpatties! Hülsenfrüchte besitzen teilweise sogar mehr Eiweiß, Eisen, Kalzium etc. als Fleisch (Nährwertangaben können natürlich variieren und hängen von Hülsenart und Menge ab). Was sie aber nicht haben ist Cholesterin! Somit auch für den Körper nicht belastend. Natürlich dürfen auch Datteln und andere Trockenfrüchte nicht fehlen, da diese nicht nur Antioxidantien besitzen, sondern auch viele B-Vitamine, die eher in tierischen Produkten vorkommen. Selbstverständlich muss auch bei gesunden Lebensmittel auf die Menge geachtet werden.
Es geht um Vielfalt und Maß.
Und es ist für mich unfassbar spannend, in verschiedenen Supermärkten und Bio-Läden zu stöbern. Denn schnell merkt man, dass es gar nicht so schwer ist, eine vollwertige vegetarische Mahlzeit zusammenzustellen. Es ist nicht schwer, ABER zeitaufwendig. Ja, man braucht Zeit. Natürlich könnte ich mir auch ein fertiges vegetarisches Produkt kaufen (z.B. Pfannengemüse vom Tiefkühlfach oder ein Sojaschnitzel oder eine TK-Pizza mit Gemüse). Aber weiß ich dann wirklich, was enthalten ist oder wie es verarbeitet wurde?
Ich liebe den Zauber des Kochens, des Zusammenzustellens, des Abschmeckens. Ich selbst bestimme, wie ich Lebensmittel zusammenstelle, wie ich sie würze und anrichte. Und vorallem im Ramadan war die Vorfreude auf das Fastenbrechen groß, weil so viel Mühe und Herz im Gericht steckte. Der Genuss ist doppelt so groß, weil ich die Zutaten bewusst ausgesucht und verarbeitet habe. Das gab mir eine andere Wertigkeit gegenüber meinem Iftars (Fastenbrechen). Es fühlte sich (auch wenn es ein wenig übertrieben klingt) heilig an. Es fühlte sich besonders an.
Was nicht so heilig war: Der höhere Kostenaufwand. Es gibt mit Sicherheit andere Meinungen dazu. Aber eine wirklich gesunde und (überwiegend) vegetarische Ernährung hat ihren Preis. Ich musste Prioritäten setzen. Auf andere materielle Dinge verzichten. Aber ich liebe Essen und ich zahle gerne mehr dafür, um auch gut zu essen. Es gibt vereinzelte Produkte die ich lieber direkt vom Biomarkt hole, zum Beispiel pflanzliche Joghurtvariationen (wobei ich auch gerne, vorallem wegen wichtigen Inhaltsstoffen auch normalen Bio – Naturjoghurt vom Supermarkt verzehre, das gilt für alle Milchprodukte) oder Getreide – und Mehlsorten usw. Den Großteil meines Wocheneinkaufs habe ich aber in einem Discounter erledigt, da auch diese inzwischen ein sehr großes Sortiment an Bioprodukten haben und immer besser sortiert sind. Kostenaufwändiger ist es auch deshalb, weil ich für ein „Fleischprodukt“ zum Beispiel Burgerpatties mehrere Produkte brauche, also statt einfach 100g Hackfleisch brauche ich Bohnen, Mehl, eventuell Eier, und mehr Kräuter und Gewürze. Somit landet auch mehr im Einkaufswagen. Für mich persönlich war es ein gerngesehenes Opfer. Denn ich möchte so leben.
Mir geht es nicht darum, Fleisch zu verteufeln, denn ich bin keine Vegetarierin! Ich esse zwar inzwischen seltener Fleisch, aber noch nicht selten genug, um mich so zu bezeichnen. Mir geht es eher darum, zu wissen wo das Fleisch herkommt. Wie das Tier gelebt hat, wie es gehalten wurde und wie es sich geopfert hat. Ich habe das Glück, obwohl ich Stadtmensch bin, einen Bauernhof in meiner Nähe zu haben, bei dem man lange im Voraus Fleisch bestellen kann. Da die Tiere dort nicht in Massen geschlachtet werden, sondern nach „Bedarf“ und das kann einige Wochen dauern, da man die Tiere nicht unnötig bis zur Schlachtung stressen will. Und ist das nicht islamisch? Genau diese Vorgehensweise?
Ich bleibe dabei, selten Fleisch, aber dafür gutes.
Danke liebe Hafssa für diesen interessanten Einblick. Mehr von ihr und tolle food Ideen findet ihr auf ihrem Instagram Account, vorbeischauen lohnt sich!
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