Die Verantwortung junger Muslime in einer multikulturellen Gesellschaft

Über die Herausforderungen, denen wir uns heute stellen müssen – und wie wir sie bewältigen können.

1961- Mehmet kommt mit seiner jungen Familie aus der Türkei angereist und hofft sich in Deutschland als Gastarbeiter eine Zukunft aufbauen zu können. Fern von seinem sonnigen Heimatland in der Fremde. Er hätte nicht vorhersehen können, dass Deutschland Heimat für die verschiedensten Kulturen werden würde und Generationen nach ihm sich als selbstverständlich in der Gesellschaft empfinden. Doch diese Entwicklung, die einer multikulturellen Gesellschaft, brachte große Herausforderungen mit sich und birgt sie bis heute, auch für Muslime.

Die ersten in Deutschland, überwiegend waren es Gastarbeiter wie Mehmet, wurden nicht per se durch ihre Religion definiert. Sie waren Menschen aus einer anderen Heimat und Kultur, die hier Arbeit suchten. Ihr Essen riecht köstlich und schmeckt auch dementsprechend. Was war sonst noch besonders an Ihnen? Ach ja stimmt: Sie sind muslimischen Glaubens.

Gestern noch ausländische Mitbürger, heute sind es – pauschal gesagt – „Muslime“. In manchem Gebrauch mit einer negativen Konnotation versehen, wohl gemerkt. Denn wenige extremistisch Gesinnte schaffen es immer wieder eine Milliarden Menschen umfassende Religionsgemeinschaft in den Rufmord zu stürzen. Natürlich wird die Meinung Muslime seien Terroristen und der Islam eine grausame Religion, relativiert, dennoch herrscht auch heute in einigen Köpfen Misstrauen. Mit Recht, denn was durch Medien & Co. transportiert wird, bedarf einer Aufklärung zu der muslimische Mitbürger sich selbst nicht in der Lage sehen. Auch diese Menschen sind schockierte Zeugen dieser Gräueltaten und können es sich nicht erklären. Vor Begriffen wie Shariah oder Dschihad schrecken selbst Muslime zurück und vermögen nicht darüber sie adäquat definieren zu können. Dies zeugt meistens von beidseitigem Unwissen über den Islam.

Parallel zu negativen Schlagzeilen und provokanter Medienberichterstattung wächst auch das positive Interesse an unserer Religion. Es werden immer mehr Chancen eröffnet und uns eine Stimme verliehen. Wieso diese also nicht auch nutzen und fruchtbar machen, um nächste Generationen zu prägen und zu bereichern? Eine Gesellschaft in der Muslime selbstverständlich sind, ihre individuellen Vorzüge und Charaktereigenschaften zählen und nicht auf ihre Konfession reduziert werden (die zwar ausschlaggebend für viele unserer guten Taten sein kann, unsere Fehler dagegen sind individuell). Woran es zu arbeiten gilt und wodurch Wandel ermöglicht werden kann, liegt unmittelbar in unserem eigenen Einflussbereich. Einfache Musliminnen und Muslime sind auch einfache Bürgerinnen und Bürger und es wäre ein großer Fehler ihnen die Last aufzuladen, wofür einzelne in einem globalen Konflikt schuldig sind. Was sie durchaus beeinflussen können ist Voreingenommenheit entgegenzuwirken und ein Bild zu prägen – ein Bild von einer muslimischen Gemeinschaft, die sich in die Gesellschaft einfindet. Dies gelingt durch gutes Auftreten und guten Umgang, d.h. bei sich selbst anzufangen.

Das neue Interesse an Muslimen birgt eine gewisse Verantwortung. Wir repräsentieren (ob man nun möchte oder nicht) die gesamte muslimische Gemeinschaft und werden das Bild des Islams in der Gesellschaft noch jahrelang mitgestalten.

Dies bedeutet Verantwortung zu übernehmen, Verantwortung für dich selbst, Verantwortung für die Gemeinschaft, Verantwortung für die gesamte Gesellschaft. Deine Taten und Aussagen spiegeln nicht nur dein Selbst wider, sondern auch das deiner Gemeinschaft. Von großer Relevanz ist es daher dies im Hinterkopf zu behalten und dementsprechend zu handeln. Übernimmst du Verantwortung für deine Person, repräsentierst du im selben Moment deine soziale Zugehörigkeit in der Gesellschaft.

Wahrnehmen

Nimm dich selbst wahr und fass dir an die eigene Nase. Ein etwas selbstkritischer Blick auf das eigene Tun und Handeln schadet niemandem. Vergiss aber nicht, dass niemand Perfektion beanspruchen kann. Arbeite an dir, zunächst für dein eigenes Wohlbefinden. Sobald der Prozess der Besserung beginnt, wird auch dein Umfeld davon profitieren.

Aber nimm auch andere wahr! Du bist nicht alleine auf dieser Welt und auf Geselligkeit angewiesen, das ist die Natur des Menschen und auch gut so. Beobachte daher dein unmittelbares Umfeld und erkenne Möglichkeiten dich positiv einbringen zu können. Sei sensibel für die Eigenarten, Gefühle und Probleme anderer Menschen. Wichtig ist es Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Selbst und dem Anderen zu erkennen. Nicht alles was du akzeptierst und tolerierst, nicht akzeptierst und nicht tolerierst, tut dein Gegenüber auch (und umgekehrt!). Daher ist sowohl Selbstwahrnehmung, als auch Fremdwahrnehmung von großer Bedeutung. So können Individualität und Vielfältigkeit, die das Leben so spannend gestalten, ausgemacht und Empfindlichkeit für deine Mitmenschen geschaffen werden. Schulst du den Blick für den Anderen, dann wirst du erkennen wie du mit diesem Anderen umzugehen hast, auf Bedürfnisse eingehen kannst und nicht verletzend wirst.

Kritik

Aus der Beobachtung folgt die Unterscheidung. Der Kritikbegriff darf hierbei erstens als Beobachtungs- und Unterscheidungsvermögen, zweitens als Urteilsvermögen verstanden werden. Dabei ist nicht das Kritisieren anderer im negativem Sinne gemeint: Kein Angreifen und Sanktionieren. Wie aus dem Punkt Wahrnehmen schon hervorgegangen ist, geht es hierbei darum die Augen für das umgebende Geschehen zu öffnen, Missstände und Verbesserungspotenziale zu erkennen und eine eigene Meinung darüber zu bilden, bevor zur Tat übergegangen wird. Urteile, die dich im Miteinander auf einen Weg der individuellen und gesellschaftlichen Verfeinerung führen sollen. Keinesfalls Kritik im Sinne von Verurteilen. Davon sollte sich jeder distanzieren und zwar ausnahmslos. Niemand stellt sich besser, indem sie oder er andere Fehler und Schwächen hervorhebt und auf die Waage stellen.

Handeln

Aus der rechten Erkenntnis folgt die rechte Tat? – Im Idealfall schon, jedoch gestaltet sich die Umsetzung eigener Überzeugungen, welche oft mit Hindernissen verbunden sind, komplizierter als der Erkenntnisprozess selbst. Viele Faktoren spielen eine Rolle bei der Realisierung einer guten Idee, wie auch die eine harmonische Gesellschaft zu etablieren.

Deshalb: Fang klein an. Jede noch so kleine Tat kann eine Kettenreaktion auslösen. Es liegt an dir: Tust du Verwerfliches, schadest du anderen und gleichzeitig auch dir selbst. Möchtest du Gutes tun, dann kannst du es im Kleinen tun, wenn du dich größeren Herausforderungen nicht gewachsen fühlst. Die Kleinigkeiten sind es, die zusammengenommen und in ihrer Kontinuität, Wandel bewirken können. Wandel in den Köpfen. Alleine der respektvolle Umgang miteinader wird im Alltag oftmals vernachlässigt.Beherzige deshalb die nette Geste, den höflichen Gruß oder das freundliche Lächeln (unterschätze nie die Magie eines Lächelns, es strahlt positive Energie aus und wirkt sogar ansteckend!). Die Kleinigkeiten im Leben zählen also, sie kosten wenig und sind dennoch höchst effektiv.

Helfen

So einfach und plausibel wie es klingt, ist es auch. Helfen in alltäglichen Situation. Das erfordert wie zuvor angedeutet Beobachtung und Feinfühligkeit. Probleme anderer sind nicht immer deutlich zu erkennen und werden meist im Alltag verdrängt. Zuvorkommend zu sein ist besonders wichtig dabei, dem anderen anzuzeigen, dass man für die Probleme des gegenübers empfindlich und bereit ist Unterstützung anzubieten. Das Anbieten von Hilfe allein ist von hohem moralischen Wert. Manchmal kann auch Zuhören Wunder bewirken und wird gerne gewürdigt.

Vergiss nicht, dass du nicht alleine auf dieser Mission bist. Jeder Einzelne kann beisteuern und zusammen mit anderen etwas bewirken. Jeder Einzelne ist Teil der Gruppe und daher verpflichtet ein friedliches Wir zu formen. Damit ist nicht ein in sich gekehrtes und ausgrenzendes Wir gemeint. Vielmehr ein Wir, welches in der Entwicklung ist und darauf hinzielt sich auf die gesamte Gesellschaft auszuweiten. Du stehst für die Gemeinschaft. Eine schlechte Tat deinerseits oder eine kleine negative Erfahrung, die andere mit dir machen, bleibt oftmals lange im Gedächtnis haften und trübt das Bild einer ganzen Gruppe. Eine gute Tat kann das Gegenteil bewirken, je zuvorkommender und freundlicher du auftrittst um so mehr werden Voreingenommenheiten abgebaut und es bildet sich in den Köpfen der Menschen eine positive Vorstellung von dir und dem wofür du stehst.

Dabei ist zu betonen, dass jedes einzelne Glied dieser Gemeinschaft individuell ist und nicht nur durch seine Konfession alleine auszumachen ist. Viele soziostrukturelle Kategorien, wie Geschlecht, Nationalität, Religionszugehörigkeit etc. behaupten den Menschen zu definieren und in soziale Rollen zu drängen. Im Endeffekt bleibt der Mensch jedoch Mensch, einzigartig in seinen Eigenschaften

Dies ist nur ein Konzept, welches aufzeigt wie verantwortungsbewusstes mündiges Denken und Handeln ermöglicht werden kann. Es erhebt nicht den Anspruch wissenschaftlich oder religiös fundiert zu sein, zumal die moralischen Ideen und Zwecke dahinter durchaus in jeder Religion, aber auch in der menschlichen Vernunft verankert sind. Es kann als Denkanstoß betrachtet werden, der dir zusagen kann, verfolgt und weiterentwickelt werden kann, jedoch nicht muss. Oder: Lediglich für die Verantwortung eines jeden Individuums zu sensibilisieren eine tolerante multikulturelle Gesellschaft zu bilden und zu fördern. Nicht zuletzt haben es Generationen von Musliminnen und Muslime durch verantwortungsbewussten Umgang geschafft für beide Seiten das Befremdliche in ein Vertrautes zu wandeln. Dies gilt es aufs Neue herzustellen und aufrecht zu erhalten.

Sagt uns eure Meinung!  Kann Verantwortung übernehmen dies leisten? Habt ihr positive Erfahrungen im Umgang mit anderen gemacht?

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