Von der Wichtigkeit einer gemeinsamen Sprache
Deutsche Sprache, schwere Sprache – eine gemeinhin bekannte Behauptung, die durchaus berechtigt erscheint in Anbetracht der komplexen Grammatik und des harten Klanges, welche dem Deutschen oft zugeschrieben wird. Charmant und wohlklingend dagegen wirkt beispielsweise das Französische durch seine nasalen Vokale.
Der oder Das Joghurt oder doch Die Joghurt? (Duden zufolge sollen tatsächlich alle drei Artikel zutreffen! – wer hätte es gedacht?)
Im Englischen wird es einem mit dem einzigen Artikel the wesentlich leichter gemacht, während mit drei verschiedenen im deutschen Sprachsystem so einiges durcheinandergewürfelt werden kann. Zumal die grammatische Geschlechtszuweisung keiner festen Norm folgt.
Wieso es sich dennoch lohnt und es geradezu unerlässlich ist diese Sprache zu beherrschen, sollte ersichtlich sein, oder?
Ob türkisch- oder russischstämmig. Araber oder Kurde. Aus dem Norden oder dem Süden. Aus Ost oder West. Deutschland als Einwanderungsland und -gesellschaft beherbergt Menschen aus den verschiedensten Kultur- und Sprachräumen. Was uns neben dem Menschsein und dem Dasein als Gesellschaftsmitglieder eint, ist eine gemeinsame Sprache. Dabei nehmen wir diese menschliche Fähigkeit als selbstverständlich hin. Durch einen einfachen ausgeatmeten Luftstrom, den wir in Mund, Nase und Kehle zur Lauten formen, schaffen wir es Wörter, Sätze, ja ganze Reden zu schwingen. Dieses Sprachvermögen und die Komplexität von Sprachen sollte gewürdigt werden. Sie verbindet uns unter anderem mit unseren Mitmenschen und versucht unseren Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Sprachen sind demnach Mittel zum Zweck. Durch sie treten wir in Interaktion mit anderen Individuen. Natürlich kann dies auch durch nonverbale Kommunikation – wie auch die entwickelte Gebärdensprache – stattfinden. Dennoch kann die menschliche Errungenschaft der mündlichen Verständigungsweise, welche früher als gottgegeben angesehen wurde, zu den größten der Menschheit gezählt werden!
Der Mensch hat jedoch nicht nur eine Sprache entwickelt, sondern in tausend verschiedene Sprachen differenziert. Mit anderen Kulturen gehen meistens andere Sprachen einher und andersherum ist in Sprache die Kultur fest verwurzelt. Beide beeinflussen sich gegenseitig. Mit dem Interesse an einer fremden Kultur wächst auch das an der jeweiligen Sprache. Diese zu erlernen ermöglicht es in andere Kulturen einzutauchen und andere Traditionen zu verstehen.
Spannend wird es, wenn Kulturen und Sprachen aufeinandertreffen. Die multikulturelle Gesellschaft in Deutschland liefert gute Bedingungen dafür, wie es in fast jedem Bekanntenkreis zu beobachten ist. Es findet sich oft mindestens ein Mitglied, welches neben seiner Zugehörigkeit zur deutschen Sprachgemeinschaft eine weitere besitzt, die durch die eingewanderten Eltern bzw. Großeltern tradiert wurde. Am Telefon mit ihren Eltern sprechen sie ihre Muttersprache – manchmal etwas lauter als im Deutschen – und man kann dank eingeschobener deutscher Ausdrücke erahnen worum es gehen könnte. Kurz darauf sind sie wieder bei uns und reden mehr oder weniger gewöhnliches Deutsch. Treffen nun Angehörige verschiedenster Sprachen zusammen, fängt über kurz oder lang das Übernehmen aus der jeweils anderen Sprache an. Gemeinsam reflektieren sie über Sprache und entdecken unter der vermeintlich totalen Andersartigkeit der Sprachen durchaus einige Gemeinsamkeiten.
Viele kennen wahrscheinlich auch das Problem ihren Freunden Begriffe und Sprichwörter, die scheinbar unübersetzbar erscheinen, aus der eigenen Muttersprache in eine deutsche, verständliche Form zu übertragen. Solche Übersetzungsprobleme bestehen für alle Sprachen. Für Menschen mit Deutsch als Zweitsprache besteht dieses Problem in doppelter Weise. Scheinbar ohne wortwörtliche Entsprechung in anderen Sprachen ist beispielsweise der Begriff Fingerspitzengefühl. Versucht man im Ausland den Ohrwurm oder den Zungenbrecher prägnant wiederzugeben wird man schnell merken, dass die Übersetzung Schwierigkeiten beinhaltet (fragt sich nur wieso man genau diese Begriffe übersetzen möchte). Ein dagegen erfahrungsgemäß gern übersetzter Ausdruck bildet Ich liebe dich. Ob nun Je t‘aime. Ti amo. Të dua. Seni seviyorum. Jeder versteht sie, auch Begriffe wie Habibi bedürfen wohl kaum eines Dolmetschers.
Besonders bedeutend ist die Verständigung auf Deutsch zwischen Paaren verschiedener Muttersprachen. In den meisten Fällen ist nämlich das Deutsche der gemeinsame sprachliche Nenner und bildet damit Grundlage ihrer alltäglichen Kommunikation mit dem Partner und der Familie.
Zudem ist das Deutsche längst in die eigene Muttersprache gelangt. Möglicherweise schon zur Muttersprache selbst geworden? Spätestens dann, wenn die eigenen Verwandten im Heimatland stolz die erlernten deutschen Begriffe vom letzten Treffen rekapitulieren, müsste einleuchten, dass wir uns dieser innerhalb der eigenen Sprache unbewusst bedienen. Zuhause am Esstisch, vor dem Fernsehen, wenn zwischen den Geschwistern lauthals gezankt wird oder lustige Anekdoten von der Schule erzählt werden. Migrantenkinder jüngerer Generationen weichen intuitiv auf deutsche Begriffe aus. Gerade dann wenn das eine oder andere Wort oder gleich komplette Sätze der Muttersprache nicht parat sind oder weil es einem einfacher fällt. Dadurch entstehen interessante Satzmuster und Wortneuschöpfungen. Ein türkischer Satz mit deutschem Satzbau gefällig oder die deutsche Pluralbildung einfach mal auf arabische Wörter angewendet? Der Kreativität im sprachlichen Umgang sind keine Grenzen gesetzt. Eine familieneigene Sprache ist zumeist das Resultat, welche Außenstehende oft zum Schmunzeln verleitet.
In Umlauf tretende Fremdwörter und fremde Strukturen können in den Sprachgebrauch gelangen. Wie der französische Einfluss zu einer bestimmten Zeit in der deutschen Geschichte und heute aufgrund der Globalisierung zunehmend das Englische und andere Sprachen. Dies bildet einen natürlichen Prozess des allzeitwährenden Sprachwandels und darf der allgemeinen Position der Sprachwissenschaft zufolge keinesfalls als Verfall des Deutschen betrachtet werden. Sprache ist Produkt menschlicher Kommunikation. Wie der Mensch und die Gesellschaft auch, ist sie dynamisch und offen für vielfältige und außergewöhnliche Gebrauchsweisen.
Der Erwerb des Deutschen kann sowohl in Form der Muttersprache als auch in Form einer Zweitsprache erfolgen, wie es Kinder mit Migrationshintergrund gemeinsam mit Muttersprachlern im Schulunterricht erlernen. Dabei gehen gute Kenntnisse über die Erstsprache nachweislich mit guten Kenntnisse über die Sprache der eigenen Eltern einher und umgekehrt. Deshalb ist die Festigung beider sehr entscheidend für die Kompetenzentwicklung zwei- bzw. dreisprachig aufwachsender Kinder.
Eine andere Art des Erwerbs ist Deutsch als Fremdsprache (DaF). Angesichts der Welle von Schutzsuchenden soll sie die durch fehlende Deutschkenntnisse entstandenen Sprachbarrieren verringern, damit eine gelungene Eingliederung in die Gesellschaft funktioniert. Der Bedarf an qualifizierten Lehrkräften steigt daher an. Gleichzeitig bietet sich die Möglichkeit durch eine von der deutschen Sprache abweichende Form mit diesen Menschen zu kommunizieren. Eine Gelegenheit zu erfahren, wie es ist sich durch andere Sprachen und Wege zu verständigen, wie man es gelegentlich im Urlaub macht, wenn man selbst mit Englisch nicht weiterkommt. Man wird zu der Erkenntnis kommen, dass es durchaus ohne gemeinsame Sprache funktionieren kann, diese jedoch das Leben deutlich leichter gestaltet und daher einen hohen Stellenwert für uns einnehmen muss.
Abschließend erscheint ein Zitat eines der größten Dichters angebracht, welcher mit der deutschen Sprache außergewöhnlich gut umzugehen wusste. Es unterstreicht die Weltoffenheit, welche das Deutsche auszeichnet:
„Wer die deutsche Sprache versteht und studiert befindet sich auf dem Markte wo alle Nationen ihre Ware anbieten, er spielt den Dolmetscher indem er sich selbst bereichert.“
Es ist eine Stelle aus einem Brief Goethes, in dem er mit Bezug auf seinen west-östlichen Divans den literarischen Aspekt des Deutschen betont und auf das Potenzial hinweist es zur Weltliteratursprache zu erheben. Dennoch kann Goethes Vergleich auch auf unseren alltäglichen Sprachgebrauch und den Kontext, in dem wir uns in Deutschland befinden, bezogen werden. Es sind verschiedene kulturelle und sprachliche Identitäten, die im Deutschen eine neue Heimat finden. Wie der große Dichter treffend darstellt, befinden wir uns hier auf einem Markt, an dem der Austausch der Kulturen über die deutsche Sprache ermöglicht wird. In ihr können wir uns entfalten. Sie verbindet uns, unabhängig welcher Herkunft und Kultur man angehört.
Redakteurin: Ameena