„Hol den Regenbogen ins Haus! „

Zurück in Deutschland. Ziemlich grau hier. Und kalt. Zwar hatten wir in London nicht gerade besseres Wetter, aber trotzdem wirkt es hier etwas düsterer.

Der Flug war ganz ok. Wir saßen wieder im selben Billig-Flieger mit überteuertem Billig-Essen und mussten uns die ganze Zeit mit Baby-Linda beschäftigen, damit sie nicht vor lauter Langeweile zum Monster-Baby mutierte.

Sie tat es trotzdem. Somit musste ich mir wieder mal so einige Tipps, Erfahrungsberichte und Weisheiten von all den selbsternannten Baby-Experten an Board anhören, die durchschnittlich ganze zwei (!) Enkelkinder haben. Das nächste Mal bringe ich ausgedruckte Urkunden und Auszeichnungen mit der Aufschrift „Baby-Experte des Jahres“ mit und verteile diese an besagte Leute. Das mache ich wirklich! Ich meine es ernst!

Mit Kindern zu verreisen kann sehr anstrengend sein. Gerade, wenn es sich nicht um Urlaub handelt. Jedes Mal stelle ich mir die Frage: „Warum tust du dir das überhaupt an, Meriem?!“ Bis heute habe ich mir noch nicht geantwortet. Wie denn auch? Soll ich jetzt etwa Selbstgespräche führen? Ich meine: Es reicht doch schon, dass ich mir selbst Fragen stelle. Es wäre doch total creepy, diese auch noch selbst zu beantworten, oder? Und zählt das hier eigentlich auch schon als Monolog? Ich fürchte ja…

Ich bin froh, wieder zu Hause zu sein. Die Kinder sind es auch, habe ich das Gefühl. Gemeinsam schauen sie aus dem Wohnzimmerfenster und zählen die Regentropfen, die am Fensterglas herunterkullern. Ich stelle mich dazu und beobachte sie eine Zeit lang, ohne dass sie mich bemerken. Der ruhige Moment hält nur so lange an, bis Nora plötzlich den Regenbogen entdeckt und Baby-Linda will, dass wir ihn zu uns reinholen.

Naaa toll, jetzt schreit sie wieder. Wie soll ich um alles in der Welt den Regenbogen hierher holen? Warum verlangt sie eigentlich immer die unmöglichsten Sachen von mir? Machen das alle Babys? Eigentlich ist sie gar kein Baby mehr. Trotzdem nennen wir sie Baby. Vielleicht ist es gerade das, was ihr erlaubt sich ständig so aufzuführen.

„Komm, wir basteln uns unseren eigenen Regenbogen! Wir können soooo viele basteln, wie du magst!“, versucht Nora sie zu beruhigen. Wow, es funktioniert! Sie ist tatsächlich von der Idee begeistert und rennt laut lachend ins Kinderzimmer direkt auf die Buntstifte zu.

Ich schaue wieder raus. Auch wenn der Ausblick aus dem Fenster einfach nur grau ist, hat er irgendwie etwas Schönes. Vielleicht sollte ich öfter hier rausgucken. Meist ist das einzige Fenster, das ich vor meinem Gesicht habe, das Atelier-Fenster. Und nicht mal da schaue ich raus. Keine Zeit. Gelegentlich im Flugzeug betrachte ich die Wolken oder das Meer, wenn Lindas unberechenbare Babylaune es ab und an mal zulässt und ich nicht gerade von einem Haufen Besserwissern belästigt werde.

Klar, aus dem Fenster schauen ist nicht das Wichtigste auf dieser Welt. Aber irgendwie fühlt es sich gut an. Es beruhigt innerlich. Die letzten Wochen waren alles andere als ruhig. Ich glaube, ich vermisse die Ruhe. Ja, sie fehlt mir total. Klingt etwas verrückt, oder? Aber mich lässt gerade der Gedanke nicht los, dass ich einfach zu schnell lebe. So schnell, dass ich alles um mich herum gar nicht mehr richtig wahrnehme.

Ich lebe fast von Kollektion zu Kollektion, von Show zu Show, von Shooting zu Shooting und Deadline zu Deadline. Dazwischen existiert nur noch recht wenig. Ich fühle mich gefangen in der Hektik der Modewelt. Alles muss schnell gehen, alles muss perfekt sein. Deadlines genau dann, wenn man eigentlich nicht mehr kann. Und dann nochmal alles von vorn.

Ich glaube, es ist nun an der Zeit, eine kleine Pause einzulegen. Eine richtige Pause. Mehrere Wochen vielleicht. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich das schon öfter versucht habe. Aber es ging einfach nicht. Immer war dieser Druck da, sich ständig wieder selbst übertreffen zu müssen – mit jeder Kollektion.

Wann habe ich zum letzten Mal den Regenbogen betrachtet oder Regentropfen gezählt? Habe ich jemals einen eigenen Regenbogen gebastelt? Ich glaube heute bastle ich mir einen. Oder einfach so viele, wie ich will. Ja, das mache ich jetzt!

Während Kinder sich ihre Fantasiewelt einfach malen oder basteln, hetzen Erwachsene einfach durchs Leben. Aber warum eigentlich so eilig? Wo genau eilen wir denn hin? Zum Erfolg? Der kommt nicht vom Schnellsein. Ins Grab? Da will doch niemand so schnell hin.

Aber wohin dann?

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