Gastbeitrag von Menerva Hammad
Liebe Menschen, the struggle is real! Dina Tokio wagt es, am 12. November ein Foto auf Instagram zu posten, auf das sie keinen Hijab trägt. DIE Dina Tokio – die seit Jahren auf YouTube Hijab-Tutorials teilt. Uns zeigt, wie vielfältig und modern man einen Hijab tragen kann und mit viel Humor ihren Instagram-Account führt, auf dem sie über eine Million Follower hat – ist nun keine Hijabi mehr.
Als ich über den Post gestolpert war, war es für mich ein weiterer Reissack, der in China umgefallen ist. Ich sage euch wieso: Ich mag Dina. Ich finde, dass sie einen tollen Style hat und ihr Humor gleicht dem meinem. Ob und wie sie nun einen Hijab trägt oder nicht, ist mir ehrlich gesagt völlig schnuppe. Dann scrolle ich die Kommentarleiste runter und merke: Wow, anscheinend ist es für die Mehrheit kein weiterer Reissack, sondern das eigene Haus, das brennt. Plötzlich raten ihr Menschen – nämlich genau jene Menschen, die ihr vorher rieten den Hijab abzunehmen, weil sie ihn „falsch trägt“ – sich zu erhängen, denn sie sei keine richtige Muslima; nun, wo sie den Hijab tatsächlich abgenommen hat. Während die andere Partei davon ausgeht, dass sie den Islam komplett aufgegeben hat, gehen andere sogar persönlich auf sie los, sind schadenfroh und es entfolgten ihr über 100.000 Menschen.
Zu meiner Überraschung ist die Tatsache, dass sie nun keine Hijabi mehr ist, nicht nur für Frauen Gesprächsthema. Ein bestimmter Instagram Account (wir wollen hier den Namen nicht nennen), welcher von einem Mann geführt wird, ruft seine Follower dazu auf, Dina und ihrem „entmänntlichten“ Mann zu entfolgen. Er möchte, dass mit Ende des Jahres die Hälfte ihrer Follower spurlos verschwinden. Meine Fragen sind hier: wieso? Welchen Vorteil gewinnt er? Und wieso spricht da überhaupt ein Mann mit, wenn es doch darum geht, was eine Frau trägt? Und das Ganze wird insofern für mich interessant, weil es nicht nur mit Dina zu tun hat.
Es ist der Zustand unserer Community, der hier sehr gut erkennbar ist und sich aufgrund einer solchen unbedeutenden Sache widerspiegelt. Es gibt die selbsternannten Alpha-Muslime, die mit ihren Haram-Keulen hin und her schwingen, „weil sie sich so gut auskennen“. Wer ihrer Meinung nach nicht islamisch genug lebt oder handelt, der bekommt öffentlich Hiebe oder – so wie sie es nennen – eine „Nasiha“.
Kopftuchtragende Musliminnen urteilen über andere Hijabis, die das Kopftuch ihrer Ansicht nach nicht richtig/islamisch genug tragen. „Wie kann man den Hijab so tragen?“, „Man sieht ihren Hals!“, etc. Ist denn jemand auf die Idee gekommen, dass jene Frauen, die den Hijab als Turban tragen, wo vielleicht der Hals sichtbar ist, am letzten Stückchen Hoffnung festhalten? Dass diese Frauen vielleicht überlegen, den Hijab abzunehmen, es aber dennoch versuchen? Jeden Tag? Über Musliminnen, die das Kopftuch nicht tragen, oder gar abgenommen haben, wird nur schlecht geredet, mit ihnen jedoch gar nicht mehr.
Wir wollen in der deutschsprachigen Gesellschaft als sichtbare Musliminnen akzeptiert werden, nennen das “Freedom of Choice“, haben aber keinen Funken Respekt den eignen Leuten gegenüber, die den Hijab nicht tragen möchten, oder warum auch immer abnehmen. Es muss doch keine Scheidung dahinter stecken, keine psychische Phase, keine Schwäche. Dabei gibt unendlich viele Gründe, einen Hijab zu tragen oder eben nicht. Und es ist schwer, sich dafür zu entscheiden und für immer bei der Entscheidung zu bleiben. Egal wo man lebt. Es ist eine Entscheidung, die den Rest des Lebens betrifft. Und weil wir uns ständig mit der Zeit verändern, ist das natürlich nicht einfach. Wir kritisieren, dass westliche, männliche Politiker sich da einmischen, was Musliminnen zu tragen haben, folgen aber Brüdern im Glauben, die sofort persönlich werden, wenn sich eine Schwester nicht gemäß ihrer Vorstellungen kleidet.
Es ist nun über mehrere Monate her, seitdem sich Dina vom Hijab getrennt hat. Währenddessen kommentieren Menschen immer noch unter ihren Bildern und sprechen dieses Thema an. Die Antwort, die ich darauf von einer Freundin bekam, ist: „Haram ist eben Haram.“ Aha, gut; und wer muss sich eines Tages dafür verantworten? Sie. Sie alleine. Und die Leute, die in der Kommentarleiste persönlich werden – auch sie müssen sich für die äußerst verletzenden Worte verantworten, die sie da in Wut abgetippt haben. Leider sind die meisten unserer Generation so aufgewachsen, dass auch wir gelernt haben, Frauenkörper und wie diese bedeckt sind, zu verurteilen.
Hijab heißt nämlich nicht nur Haarbedeckung, sondern vor allem Verhalten, Respekt, die Verhüllung unserer Hände von allem, was Böse ist (z.B. Gewalt); die Verhüllung unserer Zungen (z.B. Lästereien) usw. Und dies gilt für Männer und Frauen. Auch unser Dress-Code gilt für beide Geschlechter. Aber nie werden Männer kritisiert, die in einem Fitness-Center halbnackt ihre Muskeln via Social Media präsentieren. Noch keine Schwester hatte den Account “Fatima.Muscels.Fez” erstellt, um dort andere aufzufordern, Bruder Mohammed zu entflogen, weil er sein Oberteil ausgezogen hat.
Wir sind oberflächlich geworden. Kritisieren unaufhörlich, ohne zu verstehen, ohne zu recherchieren und geben uns alle Rechte. Und weil wir uns besser fühlen wollen als andere, machen wir andere klein, um größer und besser dazustehen.
Wir als Muslime schließen andere Muslime aus, anstatt füreinander da zu sein und das Zugehörigkeitsgefühl für andere zu bestärken. Wir müssen lernen, miteinander richtig umzugehen. Richtig wäre, dass ein Stückchen Stoff mehr nicht bedeutet, dass wer anderer Allah ein Stück näher ist. Dass man nicht zu allem eine Meinung haben muss. Vor allem dann nicht, wenn man an Informationen mangeln. Richtig wäre, dass wir – egal was passiert – zusammenhalten und nicht dafür sorgen, dass sich gegensätzliche Seiten entwickeln.
Es tut im Herzen weh zu sehen, welche Spaltung unsere Community durchmacht! Vor allem zählen die Dinge, die wir an Nichtmuslimen kritisieren, die wir doch selber tun und das ist fast unverzeihlich. Wenn wir genauso viel Energie in die eigene Entwicklung investieren würden – wie jene, die wir verwenden, um über muslimische Schwestern zu lästern – wären wir wenigstens einen Schritt voraus.
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