#basmadandiary: Ramadantag 22

Liebes Ramadan Tagebuch,

ich lasse mich müde in den Sitz fallen. Im Zug herrscht zur morgendlichen Stunde das übliche geschäftliche Treiben. Während ich sonst an jedem anderen Tag im Jahr ein Teil dieses Trubels bin, fühle ich mich heute, wie eine stille Beobachterin und nicht Teil des großen Ganzen. Mir gegenüber sitzt eine junge Frau, die mich kaum beachtet und ihr frisches Croissant vom Bäcker auspackt. Der Geschäftsmann schräg gegenüber ist in seinen E-Mails auf dem Laptop vertieft. Und ich? Ich, die sonst Zugfahrten mit einem guten Buch oder Podcast, vertreiben kann, sitze da und horche in mir selbst hinein.

Ich bin jedes Jahr erneut erstaunt über die Perfektion unseres Schöpfers. Über diese Exzellenz. Wie unser Körper das Fasten adaptiert, wie es Einfluss gewinnt auf unsere Seele auf unser Wohlbefinden. Ich lerne mit den Reserven meines Körpers umzugehen. Stress, Wut oder anderweitige negative Gefühle, lässt mein Körper nicht zu. Als würde es ihm so viel Energie abverlangen, als das dieser sonst den Tag nicht überstehen. Ich konzentriere mich auf das Wesentliche. Wie trivial plötzlich alles erscheint! Wie stark ich plötzlich werde. Die Seele, die gefestigt wird. Der klare Verstand. Die Tiefe des eigenen Glaubens. Wie selbstverständlich es für uns gelingt. Ich spüre tiefe Demut und Dankbarkeit. Ein Blick in die Zeitung meines rechten Sitznachbars reißt mich kurz aus dem Gedanken: die alljährliche Kopftuchdebatte, Fastendebatte. Rechtfertigungen, Anschuldigungen. Ich atme tief ein. Ich werde wieder müde und überlege, ob Musliminnen und Muslime weltweit bewusst ist, was sie Jahr für Jahr schaffen? 17 Stunden sich selbst zu disziplinieren. Sich zu fokussieren. Sich zu finden. Wenn uns das gelingt, sollte es nicht ein Leichtes sein, unseren nicht-muslimischen Mitmenschen zu zeigen, wie wichtig und schön Ramadan ist? Sollten wir dieses Potenzial nicht nutzen, um uns zu etablieren? Sollten wir nicht lieber mit an dem Tisch sitzen und über Themen debattieren, die uns alle betreffen, statt immer nur dann angesprochen zu werden, um uns zu rechtfertigen?

Ich öffne langsam die Augen und spüre Blicke, die auf mich gerichtet ist. Die junge Frau mir gegenüber schaut mich lange an, sodass ich kurz überlege ihr zuzuwinken. „Es tut mir schrecklich Leid wegen Ramadan“, sagt sie. Innerlich gewappnet für die kommende Diskussion, erkläre ich ihr, dass es hierfür kein Grund sich zu entschuldigen. Sie schüttelt den Kopf und legt das Croissant in die Tasche zurück.

„Ich bewundere alle fastenden Muslime und ich habe nicht nachgedacht, als ich vor Ihnen gegessen habe. Das tut mir schrecklich Leid.“ Verdutzt versuche ich ihr zu erklären, dass ich keine Probleme damit habe, wenn sie vor mir isst. Sie schüttelt weiterhin den Kopf. „Das wäre gemein. Bis Ostern habe ich ja selbst gefastet und ich bin jedem aus dem Weg gegangen, der ein Kaffee oder ein Stück Gebäck verspeiste. Ich bin mir sicher, dass es Ihnen nichts ausmacht, aber wir müssen das ja nicht ausreizen“, lacht sie. Ich lächele zurück und bedanke mich für ihre Rücksicht. Ich lehne mich auf den Sitz zurück und verstehe, dass nur das wachsen kann, worauf wir uns konzentrieren.

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