In dieser doch sehr ungewöhnlichen Zeit sind wir die meiste Zeit mit unseren Liebsten zu Hause. Und viele Familien werden jetzt auf eine harte Probe gestellt: Was unternehme ich mit den Kindern, ohne dass sie über- oder unterfordert sind? 

Ich stelle mir ehrlich gesagt jeden Tag die Frage, wie ich den Tag für mich und für die Kinder sinnvoll gestalten soll. Wie kann ich sie kreativ beschäftigen und richtig fördern, sodass ich auch selbst Zeit finde für den Haushalt und für die Arbeit? 

Um diese Zeit sinnvoll zu nutzen, habe ich mir Rat und Tipps von einer Pädagogin und Grundschullehrerin Özlem Ferber geholt. Sie selbst hat zwei Kinder (3 Jahre, 10 Monate alt), die sie daheim betreut. In diesem Interview frage ich sie nicht nur, wie ich meine Kinder besser beschäftigen kann, sondern bekomme auch Ratschläge und Tipps, wie ich die Umgebung meines Kindes besser gestalten kann. 

Liebe Özlem, vielen lieben Dank, dass ich in erster Linie als Mutter einige Ratschläge von dir holen darf. Ich bin ehrlich zu dir, ich bin am Ende. Ich glaube, ich habe noch nie so viel mit den Kindern gespielt, wie an diesen Tagen. 

Vielleicht besser: Wie viel muss ich denn am Tag aktiv mit meinen Kindern spielen? 

Das ist eine sehr gute Frage als Einstieg in dieses Thema. Als Eltern hat man nämlich zunächst immer das Gefühl, dass man ganz viel mit ihnen spielen muss, um sie optimal zu fördern. Kinder lernen aber auch sehr viel, wenn sie sich alleine beschäftigen. Für die Entwicklung von Babys ist es sogar essenziell, dass sie sich auch mehrmals am Tag mit sich selbst beschäftigen, um zum Beispiel ihre Umgebung zu erkunden oder um ihren eigenen Körper zu entdecken. 

Kinder brauchen keine Rundumbespaßung, sie brauchen viel mehr die Sicherheit und Nähe von ihren Eltern. Vor allem brauchen sie aber eine Tagesroutine, die ihnen eine feste Struktur gibt. Je sicherer sich ein Kind fühlt, desto freier kann es sich entfalten und lernen. Denn damit ein Kind wirklich sorgenfrei und unabhängig von den Eltern spielen kann, müssen zunächst seine Grundbedürfnisse gestillt sein. Ein Kind das hungrig oder müde ist, kann sich nicht dem Spielen widmen. 

Was kann ich dann mit meinem Kind machen, wenn ich nicht 24/7 mit ihm spielen muss?

Im Grunde alles, was du sonst auch tun würdest: Binde dein Kind so viel wie möglich in den Alltag ein! Stehe gemeinsam mit deinem Kind auf, mache zusammen mit ihm die Betten, macht euch zusammen im Bad frisch! Kinder lernen sehr viel durch Imitieren. Bereite zum Beispiel nicht Frühstück für dein Kind vor, sondern bereite zusammen mit deinem Kind euer Frühstück vor! Kinder können eigentlich viel mehr, als man ihnen zutraut. Schon ein zweijähriges Kind kann zum Beispiel helfen, den Tisch zu decken oder die Spülmaschine auszuräumen. Natürlich bedarf es einer Hilfestellung und dauert viermal so lang, aber das ist doch zweitrangig. Vor allem jetzt, wo man wegen der Coronakrise keinen Zeitdruck hat und nicht hektisch von einem Ort zum anderen rasen muss. Kinder brauchen einfach viel Zeit, das ist ganz normal. 

Außerdem haben Kinder von Natur aus ein Helfersyndrom. Sie fühlen sich in ihrem Selbstvertrauen bestärkt, wenn sie einen Beitrag leisten. Und das heißt nicht, dass man sie pseudobeschäftigt, sondern dass sie wirklich praktische Tätigkeiten machen, wie zum Beispiel ihre Wäsche aufhängen oder ihre Schuhe putzen. Es geht hier auch nicht um das perfekte Ergebnis, sondern um den Lernprozess. Kinder erwerben sehr viele Kompetenzen durch für uns einfache praktische Tätigkeiten.

Natürlich gibt es aber auch Tätigkeiten, wo man die Kinder nicht einbinden kann. Zum Beispiel, wenn man aufgrund der aktuellen Situation Homeoffice machen muss und die Kinder auch keine Betreuungsstätte besuchen. 

Was muss ich denn tun, damit sich mein Kind selbst beschäftigt?

Ja, das Problem haben jetzt wahrscheinlich viele Eltern, vor allem Mütter. Erst einmal: Jedes Kind kann sich selbst beschäftigen, es ist nur eine Gewöhnungssache. Früher war es selbstverständlich, dass sich Kinder alleine oder mit ihren Geschwistern beschäftigt haben. Ganz einfach, weil es anders gar nicht ging. Jetzt sind die Umstände anders. Die meisten Kinder haben keine Geschwister und dadurch, dass meistens beide Elternteile arbeiten, wird das Kind am Wochenende, wenn beide Eltern daheim sind, 24/7 bespaßt. 

Natürlich wollen Kinder auch mit ihren Eltern spielen, aber sie können auch alleine spielen. 

Zunächst einmal muss man darauf achten einen gemeinsamen Start in den Tag zu haben. Hier sollte das Kind die volle Aufmerksamkeit genießen. Das kann zum Beispiel Kuscheln nach dem Aufstehen oder das Frühstück sein. Wichtig ist, dass dein Kind merkt, jetzt bist du nur für es da. Wenn du das verpasst, wird dein Kind den ganzen Tag an dir kleben und wird sich nicht alleine beschäftigen, weil es diese Aufmerksamkeit einfordern wird. Je kleiner das Kind ist, desto öfter braucht es solche Phasen. Baue solche Phasen in dein Tag ein! Achte zum Beispiel auf gemeinsame Essenszeiten und auf eine gemeinsame Zeit vor dem Schlafengehen! 

Welche zusätzlichen Faktoren spielen für ein unabhängiges Spielen noch eine Rolle?

Eine große Rolle spielt auch die Umgebung des Kindes. Hat mein Kind überhaupt die Möglichkeit alleine zu spielen? Kommt es an alle Spielsachen oder Bücher selbstständig hin, ohne dass es eine Gefahr darstellt? Ist alles kindgerecht? Deswegen ist der Grundstein für die Selbstbeschäftigung die Umgebung des Kindes. Ein Kind braucht nicht unbedingt ein Zimmer für sich. Vielmehr braucht es verschiedene Zonen, wo es sich frei entfalten kann. 

Was genau meinst du damit? 

Ein Zimmer, das für dich perfekt aussieht, super dekoriert ist usw. heißt nicht automatisch, dass es den Ansprüchen des Kindes tatsächlich gerecht wird. Oder dass man ja eigentlich für sich versucht, alles so zu einzurichten, dass es einem selbst gefällt. Es geht zum Teil viel um Deko, womit das Kind aber nicht wirklich was anfangen kann. Oder was denkst du darüber? So war es zumindest bei mir. Ich habe bei meinem ersten Sohn alles blau eingerichtet und hier und da Pompons aufgehängt, er konnte damit aber gar nichts anfangen. 

Natürlich ist ab einem bestimmten Alter ein eigenes Zimmer sinnvoll, aber auch hier sollte man das Zimmer in verschiedene Bereiche aufteilen, dabei müssen diese Bereiche nicht alle zwingend im eigenen Zimmer sein. Zum Beispiel braucht das Kind eine kreative Ecke, wo es in Ruhe malen oder basteln kann, ohne Angst zu haben, etwas zu bekleckern. Eine Kuschel- oder Leseecke ist auch sinnvoll, wo es sich auch mal zurückziehen kann und ein Buch anschauen oder ein Hörbuch hören kann. Wichtig ist auch ein Bereich zum Toben und Springen, wo sich das Kind nicht verletzen kann und wo es auch mal Krach machen kann. Diese Bereiche kann man noch unendlich weiterführen. Beobachte einfach dein Kind, was spielt dein Kind am liebsten? Welcher Bereich ist für dein Kind überhaupt sinnvoll? 

Als es hieß, die Kitas machen zu, habe ich wie verrückt Spielsachen bestellt, damit die Kinder genug beschäftigt sind. Jetzt merke ich, sie spielen zwar interessiert, aber nicht länger als 20 Minuten. Woran kann das liegen?

Das könnte mehrere Gründe haben. Zum einen ist das Spielzeug dafür geeignet, dass man sich stundenlang und immer wieder damit beschäftigen kann. Zum anderen ist es vielmehr ein Spielzeug, dass auf den ersten Blick total toll ist, aber dann nicht mehr weiter interessant ist. Hier sollte man sich immer überlegen, wie lang und wie vielfältig kann sich mein Kind mit diesem Spielzeug beschäftigen. Prinzipiell gilt: Je mehr das Spielzeug macht, desto weniger kann das Kind machen. Je weniger das Spielzeug macht, desto mehr kann das Kind machen. Ganz einfaches Beispiel: Ein Spielzeughandy kann das Kind nur als Spielzeughandy benutzen. Es blinkt, hat Tasten und macht auch noch Geräusche. Ein Baustein dagegen kann als Handy und vieles mehr fungieren. Das Kind entscheidet, was für Geräusche es macht und wo sich die Tasten befinden. Das Kind selbst wird kreativ und nicht der Spielzeughersteller. 

Bedeutet das jetzt, man darf zum Beispiel kein Feuerwehrauto kaufen?

Nein, natürlich nicht. Mein Sohn hat ein blinkendes Feuerwehrauto und er liebt es! Wichtig ist es, das gesunde Mittelmaß zu finden. Kinder sollten auch die Möglichkeit haben, selbst kreativ zu werden und ihre Fantasiewelt einzutauchen.

Ich hatte das Gefühl, mein Kind beschäftigt sich mit den alten Spielsachen nicht mehr und ich dachte, neue Spielsachen würde das Problem lösen. War das jetzt falsch?

Na ja, der Gedanke ist ja schon richtig. Kinder lieben es neue Sachen zu entdecken. Das kann man aber auch anders erreichen. Zum Beispiel hilft es schon, wenn man Spielsachen, mit denen nicht mehr gespielt wird, einfach wegräumt. Generell gilt bei den Spielsachen: weniger ist mehr. Die Kinder spielen nicht so gerne, wenn sie von Spielsachen überflutet werden und können sich nicht wirklich konzentrieren. Sinnvoller ist es, die Spielsachen schön übersichtlich in ein offenes Regal zu stellen und regelmäßig auszutauschen. Dann muss man auch nicht ständig neue Spielsachen kaufen, weil der Effekt der Gleiche ist. Spielsachen, die sie schon lange nicht mehr gesehen haben, werden wieder interessant. Bei größeren Spielsachen, wie zum Beispiel einer Küche, reicht auch schon eine neue Umgebung. Einfach mal die Spielküche vom Kinderzimmer in die Küche stellen! Schon wird sie wieder bespielt. 

Özlem, was denkst du über den Fernsehkonsum?

Gerade jetzt, wo wir uns in solch einer Extremsituation befinden, sollte man den Fernseher nicht verteufeln. Allerdings sollte man darauf achten, ausgewählte Inhalte zu zeigen und selbst zu bestimmen, wann, was und wie lange geschaut wird. Vor allem kleinere Kinder sollten nicht wahllos von einem Kanal zum anderen zappen. Auch Tablets ohne Kindersicherung finde ich persönlich sehr gefährlich. 

Am besten einigt sich man auf eine Sendung, die altersgerecht ist und die das Kind schauen darf. Das Kind sollte aber nicht das Gefühl bekommen, dass es jetzt vor dem Fernseher geparkt wird, damit die Mutter in Ruhe etwas erledigen kann. Man sollte trotzdem in der Nähe bleiben oder sich ab und zu dazu setzen und sich auch mal eine Pause gönnen. 

Das sind tolle Ratschläge liebe Özlem. Ich denke, du hast nicht nur mir damit geholfen, sondern auch vielen anderen.

In so einer schwierigen Zeit ist es wichtig Ruhe zu bewahren und jeder sollte sein eigenen Rhythmus mit seiner Familie finden. An alle Eltern wollen wir sagen, Ihr macht das super und gemeinsam schaffen wir das!

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