Heiratsdilemma

Ein Gastbeitrag von Nur Aydin 

Das ist an alle Tanten und ihre wundervollen und vor allem einzigartigen Söhne. 

Liebes Tantchen und lieber potentieller Heiratskandidat,

ich möchte mich erst ein Mal recht herzlich bei euch für euren höchstwahrscheinlich gut gemeinten Heiratsantrag bedanken. Leider weiß ich nicht genau an wen ich den Dank adressieren soll. An dich, Tante, die du wie eine Agentin ein Mädchen, welches deinen Anforderungen entspricht, ausfindig machst, ihren gesamten Lebenslauf von Freunden, Bekannten, Nachbarn und jeglichen Menschen, die jemals etwas über sie gehört haben könnten, erfragst oder an dich, Herr Heiratskandidat, der du relativ uninteressiert einer von vielen Zuschauern dieses Schauspiels bist. Ich adressiere den Dank lieber an die Frau Mama.

Leider muss ich dir, liebes Tantchen, mit großem Bedauern mitteilen, dass ich keinerlei Interesse an deinem Sohn habe. *empörte Ausrufe bitte hier einfügen*

Meine Ablehnung ist auf keinen Fall eine Aufforderung für dich und deine Kumpaninnen mich noch intensiver zu bedrängen. Ich ziere mich nicht und spiele auch nicht Desinteresse vor, um nicht als leichte Beute dazustehen. Nein. Ich möchte wirklich nicht.

Jetzt wirst du mir natürlich alle Vorzüge von dem Herrn Sohnemann aufzählen. Ich kann ihn dir aber sehr schnell beschreiben. Er gehört nämlich in eine der folgenden Kategorien:

Kategorie 1: Der Playboy. 

Dieser Typ wechselt sehr häufig seine Freundinnen aus den unterschiedlichsten Gründen und erzählt jeder von ihnen, dass er sie ganz bestimmt heiraten wird. Natürlich bist du, liebes Tantchen, mit einem x-beliebigen Mädchen nicht einverstanden. Sie ist dir nicht gut genug und man kann oft beobachten, wie du enormen Druck auf deinen Sohn ausübst, damit er endlich von ihr ablässt und eine “Vernünftige”, ein “ordentliches” Mädchen heiratet. Da ich in diesem Fall anscheinend das “ordentliche” Mädchen bin, sollte ich mich geschmeichelt und geehrt fühlen. Notieren wir bitte für die Akten, dass ich zutiefst gerührt bin über so viel Zuneigung. In Wahrheit aber gehört dein Sohn zu der Kategorie Typen, die ich nicht ausstehen kann. Ich sehe schon wie du große Augen machst, aber lass‘ mich es dir kurz erklären. Männer müssen begreifen, dass Frauen durchaus Menschen mit Gefühlen sind, mit denen man nicht leichtsinnig umgehen sollte. Das ganze Freund/in Gehabe ist mir einfach zu kindisch, albern und schadet meiner Meinung nach der zukünftigen Ehe. Ich möchte nicht eines Tages mit jemandem verheiratet sein, der mich im besten Falle im Unterbewusstsein ständig mit einer meiner etlichen Vorgängerinnen vergleichen wird. Außerdem: wer gibt mir eine Garantie dafür, dass er sich wirklich ändert und nun plötzlich sesshaft wird? Du etwa, liebe Tante, die du von den meisten Machenschaften des Jungen überhaupt keine Ahnung hast?

Ich möchte dir einen Rat geben, falls du mich nicht für all zu vorlaut hältst: bitte fliege kein süßes, unschuldiges Mädchen aus der Heimat für diesen Jungen ein. Wenn du es nicht geschafft hast den Jungen in diesen zwanzig etwas Jahren zum Mann zu erziehen, dann wird sie es ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr schaffen. Falls du es doch tun solltest und das sogar, wie die meisten deiner gerissenen Vorgängerinnen, durch das Verheimlichen seines wahren Charakters und das Hervorstreichen und Vorgaukeln guter Eigenschaften, kann ich dir nur eines sagen: fürchte Allah (swt).

Auch wenn die Familie des Mädchens und sie selbst wahrscheinlich nichts ahnend dem Ganzen zustimmen, Allah weiß alles und kennt die verborgenen Absichten.

Kategorie 2: Der Unpassende.

Dein Sohn ist kein all zu schlechter Junge. Er hat oftmals einen Realabschluss und ist in der Ausbildung oder er hat ein Abitur und studiert irgendetwas an irgendeiner Universität. Ihr seid auch alle super nett, aber ich und dein Sohn, liebe Tante, das geht nicht.

Wir haben keinerlei gemeinsame Interessen, wir mögen nicht dieselben Dinge, wir verfolgen im Leben verschiedene Ziele und von den unterschiedlichen Lebensansichten und –erfahrungen will ich erst gar nicht anfangen.

Warum musst du mich unbedingt zwingen, mit diesem Sohn irgendetwas zu unternehmen, natürlich nur in Begleitung von irgendjemandem, damit wir uns besser kennenlernen? Die Punkte, die ich oben aufgezählt habe, sind für mich keine oberflächlichen Kleinigkeiten, die sich mit der Zeit ergeben. Im Gegenteil: das sind wichtige Dinge, an denen die meisten Ehen früher oder später kaputt gehen. Bitte bring’ mich nicht dazu, mich mit deinem Sohn zu unterhalten, wenn ich keinerlei Interesse daran habe. Nicht nur, weil wir nicht zusammen passen, sondern weil ich nicht unbedingt mit jedem Ahmet und Mahmud irgendwo irgendetwas trinken gehen möchte – mir ist dann auch egal wer alles mitkommt. Bitte schreibe auch die Tatsache, dass ich versuche höflich und freundlich zu sein nicht meiner Unentschlossenheit zu. Meine Mutter wäre traurig, wenn ihre gute Kinderstube an sturen Frauen scheitern und in unhöfliches Benehmen umschlagen sollte.

Kategorie 3: Der Akhi. 

Die meisten von dieser Kategorie haben erst vor kurzem die Kurve gekratzt und sich mit einer 180° Drehung von ihrem alten Ich verabschiedet und wurden super ultra mega religiös. Sie verabschiedeten sich nicht nur von ihrem Alter Ego, sondern auch von den meisten Freunden und oftmals, was sehr traurig ist, von den meisten ihrer Familienmitglieder. Liebe Tante, ich weiß, dass du Bedenken wegen dem Jungen hast, weil er anfängt auch dich zu kritisieren und meint alles besser zu wissen und auf dich oder den Vater nicht mehr hören zu müssen. Ich will dir den Jungen gar nicht weiter schlecht reden. Sich einer Sache zu widmen ist keine Schande, aber jedes Extrem ist dazu verdammt nicht von Dauer zu sein. Nicht umsonst pries der Prophet (F.s.m.i.) den „goldenen Mittelweg“.

Mein Problem mit ihm ist vor allem, dass er ein „Sekt oder Selters – schwarz oder weiß“ Typ ist. In seiner Welt existiert nur ein minimaler Raum für Diskussionen, alles ist entweder richtig oder falsch – natürlich liegt er immer im Recht. Hier ein simples Beispiel: ich möchte nicht, dass dein Sohn meine Kleidungsweise einschränkt oder mir gar vorschreibt, was ich zu tragen habe. Ich kenne sehr wohl die entsprechenden Verse und die Auslegungen des Propheten dazu und ich meine mich mehr oder weniger daran zu halten. Für mich ist es ein Beweis der Güte Allahs (swt), dass er uns nur die Richtlinien, die Grenzen vorgibt – wie du diese umsetzt ist dir allein überlassen. Wenn ich von Gott freie Hand dafür habe, werde ich nicht erlauben, dass mich jemand anderes meint bevormunden zu müssen. Das tut mir ausnahmsweise nicht leid.

Jemanden heiraten, der wahre Gottesfurcht hat, ist sicherlich ein wichtiges Kriterium auf der Liste „wie-sollte-Mr.-Perfect-sein“ einer jeden Muslima. Der Glaube, in meinem Fall der Islam, ist aber keine Bürde, sondern eine Bereicherung für mein Leben. Eine Richtlinie für die alltäglichen und besonderen Dinge, mit denen man im Leben konfrontiert wird. Wenn aber dein Sohn, liebe Tante, durch seine Interpretation den Islam so auslebt, dass ich die Religion nicht in meinen Alltag einbinden kann, sondern sie von meinem Leben beinahe trennen muss, dann kann das nichts für mich sein. Bitte akzeptiere, dass wir nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen können.

Jetzt bist du natürlich total baff, weil ich ja eigentlich das liebe, ordentliche Mädchen sein sollte, das keine so große Klappe haben darf. Ich muss dich leider enttäuschen, denn ich habe Erfahrungen mit Leuten wie dir seit meinem 16. Lebensjahr sammeln dürfen. Ich habe mir also schon eine gewisse Expertise in dem Bereich „ungewollte Schwiegermütter samt Sohn verscheuchen“ aneignen können. Meine Mutter, die Jahre lang mit Geduld und netten Worten hat das Ganze von mir abwimmeln wollen, wird ebenfalls in Kürze in diesem Bereich promovieren.

Ich hoffe, dass du mich jetzt vielleicht etwas besser verstehst. Ich würde aber nicht mein BAföG darauf verwetten – ist eh knapp genug. Trotzdem finde ich dich, liebe Tante, im Grunde nett und dein Sohn ist sicher auch irgendwo nur ein armer Junge, der gar keine Ahnung hat, was seine liebe Frau Mama so alles für ihn plant. Auch du, Tante ohne potentiellen Ehemann-Sohn, bist ganz okay. Du kennst mich schon seit meiner Kindheit oder durch andere Bekannte und willst mich unter die Haube bringen. Vorzugsweise mit einem guten Jungen, dessen Mutter du sehr gut kennst, damit ich ja keinen Typen anschleppe, den ihr alle nicht habt aufwachsen sehen oder der vielleicht gar kein Türke ist. *wildes Zungenschnalzen und auf das Knie schlagen bitte hier einfügen*

Natürlich wirst du, liebe Tante, jetzt so tun, als hättest du mir zugehört und mich verstanden. Ich werde mich dann heimlich über meinen scheinbaren Triumph freuen, aber in Wahrheit wirst du eine der zwei Optionen verfolgen:

  1. a) Jeglichen Kontakt zu meiner Familie abbrechen, weil du beleidigt bist und es einfach nicht glauben kannst, wie jemand deinen Juwel von Sohn hat in aller Welt ablehnen können. Diese Tatsache wird dich bis in alle Ewigkeiten (um genau zu sein bis du die nächste potentielle Braut hast) verfolgen und wenn du die richtige für ihn an der Angel hast, wirst du uns das Ganze natürlich unter die Nase reiben, damit wir auch ja wissen, was wir uns da haben entgehen lassen.
  2. b) Du wirst die Verständnisvolle spielen und von dannen ziehen. Unterwegs wirst du aber natürlich überall seltsame Bemerkungen über mich fallen lassen, die nicht selten zweideutig klingen. Natürlich wird ab und zu auch erwähnt, dass ich sicher heimlich entweder in jemanden verliebt bin oder mich schon mit einem anderen treffe. Schließlich kann ich ja nicht einfach aus nachvollziehbaren Gründen so ein Angebot abgelehnt haben und wirklich nicht vergeben sein. Nein.

Natürlich hoffe ich immer wieder, dass du zu denjenigen gehörst, die sich eine Option c) verschaffen, was ein oder zwei Mal vorkam. Diese Option ist schlicht und einfach zuhören, überdenken und das Thema ruhen lassen. Leute, die sich für c) entscheiden, sind mir wirklich von allen die Liebsten!

Ich wünsche mir für dich, dass du die perfekte Braut für deinen Sohn findest und ihr eine große glückliche Familie werdet.

Liebe Grüße und Salaam

Nur

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