#AskIman: Probleme mit den Eltern

Thema: Probleme mit den Eltern

Alter: 18

Geschlecht: weiblich

Nachricht: Ich habe im Sommer mein Abitur mit einer akzeptablen Durchschnittsnote bestanden und würde am liebsten Biochemie studieren. Ich lebe mit meiner Familie, also meinen Eltern, einem Bruder und einer Schwester, in Berlin. Mit meinem Durchschnitt müsste ich 6-8 Semester auf einen Studienplatz in Berlin warten. Ich wurde an anderen Universitäten angenommen, was aber einen Umzug bedeuten würde. Meine Eltern sind absolut dagegen, wir hatten oft Streit deswegen und vor allem mein Vater lässt sich nicht umstimmen. Dabei weiß ich, dass seine Gründe kulturell und nicht religiös geprägt sind. Ich habe das Gefühl, dass ich mein Leben und meine Zeit verschwende und auf eine Gelegenheit warte, die erst in 3-4 Jahren eintreffen wird. Irgendwie kann ich das meinen Eltern nicht verzeihen, will mich aber auch nicht gegen sie stellen, weil es ihnen das Herz brechen würde. Ich kann mir wirklich kein anderes Studienfach vorstellen. Wie kann ich meine Eltern davon überzeugen mich doch umziehen zu lassen?

Liebe Weiblich, 18,

Zunächst einmal vielen Dank für deine Zuschrift und für Dein Vertrauen und Gratulation zum bestandenen Abitur. Dass du Biochemie studieren willst, sagt mir, dass du wirklich einen sehr guten Durchschnitt haben musst. Das ist wirklich ein tolles Studienfach.

Ich habe mich lange gefragt, wo ich bei dieser Frage genau ansetzen kann. Diese Problematik ist in muslimischen/orientalischen Kulturkreisen, auch wenn es 2017 ist, nicht unbekannt und tritt sehr häufig auf. Viele junge Frauen haben, trotz Volljährigkeit, wenig Mitspracherecht, wenn es um den Wohnort geht. Man kann darüber streiten, ob und in welcher Hinsicht sich Eltern umstimmen lassen müssen. Für die betroffene Person selbst, steht dabei viel auf dem Spiel. Wie kommt man also an das Ziel ohne die Familie zu verlieren?

Das Nein der Eltern kann viele Gründe haben und das muss man in den Mittelpunkt der Diskussion stellen. Leider beschreibst du nicht, warum Deine Eltern dagegen sind, aber du erwähnst, dass eine kulturelle als religiöse Motivation dahinter steckt. Und ob du es glaubst oder nicht, das sind an sich gute Nachrichten, denn Religion ist in der Regel ein Fixpunkt, der sich nicht ändern lässt. Kultur ist jedoch, wenn auch nur vorsichtig und mit Bedacht, veränderbar . Stell Dir erstmal diese Frage: Warum wollen Deine Eltern nicht, dass du wegziehst?

Wenn du diese Frage genau beantworten kannst, hast du die Grundlage Gegenargumente zu finden. Das garantiert zwar nicht, dass Du es schaffst sie umzustimmen, aber es öffnet den Dialog. Es ist unglaublich wichtig sachlich zu bleiben, auch (besonders!) wenn es um eine emotionale Angelegenheit geht. Bevor Du anfängst gegen Deine Eltern anzukämpfen, wäre es wichtig ihnen zu vermitteln, dass Du ihre Ängste und Sorgen verstehst. Achtung: Etwas verstehen bedeutet nicht, dass man zustimmt! 

Denke also daran, dass wenigstens eine Seite sachlich bleiben sollte. Da Du die Reaktionen und Emotionen Deiner Eltern nicht kontrollieren kannst, musst versuchen Deine im Griff zu haben. Vielleicht könnt ihr dann gemeinsam einen Kompromiss finden.

Aus meiner persönlichen und professionellen Erfahrung heraus kann ich sagen, dass man oft nur glaubt, dass die Fronten verhärtet sind. Wenn eine ruhige und sachliche Diskussion beginnt, ist man überrascht, was dabei herauskommt.

Ich weiß leider nicht, wie weit die Universitäten von Deinem jetzigen Wohnort entfernt liegen, aber vielleicht kann man sich auf eine Teilzeitmöglichkeit einigen, die Dich nicht ganz aus Berlin raus reißt. Sollte dies nicht gehen, funktionieren vielleicht andere Lösungsansätze, wie zum Beispiel sich an einer Universität außerhalb von Berlin einschreiben, ein Semester teilzunehmen und dann zu einer Universität in Berlin zu wechseln. Es hört sich komplizierter an, als es in Wirklichkeit ist. Viele Studenten gehen diesen Weg. Sollten alle Stricke reißen und Du tatsächlich nicht an deine Eltern durchkommen, könntest du eventuell die Wartesemester mit einer Ausbildung überbrücken, die an das Studium anlehnt. Ich weiß, ich weiß… Das ist nicht der ideale Weg, aber eine Ausbildung kann Dir später als Berufserfahrung zu Gute kommen. Dies sind alles nur Vorschläge, was letztendlich aus Eurer Diskussion entspringen wird, kann man nicht absehen. Ich kann Dich nur bestärken und motivieren, nicht aufzugeben. Und vor allem dann nicht, wenn Du glaubst, gescheitert zu sein. Es gibt so viele Wege an sein Ziel zu kommen. Auch, wenn der vorgestellte Weg immer fixiert ist und graduell erfolgen soll, sieht es in der Realität anders aus. In den seltensten Fällen stellt man einen Plan auf, der dann ohne Hürden aufgeht.

Erfahrungsgemäß kann so ein Diskurs mit den Eltern – der oft der erste dieser Art ist –  die Familie zusammen rücken lassen. Viele Dinge werden ausgesprochen und vielleicht neu definiert und das Verständnis innerhalb der Familie wird dadurch vereinfacht und gestärkt.

Ich respektiere die Haltung sehr, die Eltern nicht verletzen zu wollen, aber es gibt Wege, wie man kleine Triumphe feiern kann, ohne die Familie vor dem Kopf zu stoßen.

Man braucht nur zwei Dinge: Liebe und eine riesengroße Portion Geduld. Denn oft geht es in solchen Fälle nicht nur um einen Generationsunterschied, sondern auch um einen kulturellen. Beides kann nebeneinander existieren. Die Brücke muss man jedoch bauen lernen. Gib nicht auf!

Ich hoffe sehr, dass ich Dir ein wenig weiterhelfen konnte.

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