Das Rassismus gelernt wird, wissen wir ja bereits. Nur, dass Kinder sehr anfällig für rassistisches Verhalten sind, verwundert immer wieder viele. Neulich sitze ich im Kindergarten für eine Beobachtungsstudie. Da sitzen drei kleine Mädchen im Kreis und spielen mit Puppen, eine der Puppen sieht schon etwas mitgenommen aus. Das eine Mädchen – weiß und blond – sagt zu einem der anderen Mädchen – das schwarz ist – „Du kriegst die hässliche Puppe (und meint die mitgenommenere), weil du schwarz bist.“ Mir fällt natürlich erstmal die Kinnlade runter, intervenieren darf ich aber nicht, also schaue ich weiter zu (später weise ich die Erzieherin aber darauf hin). Das schwarze Kind nickt und nimmt beanstandungslos die ramponierte Puppe entgegen, das weiße Kind nickt zufrieden. Das andere Mädchen reagiert gar nicht. Dann spielen sie, als sei nichts gewesen.
Das faszinierende daran ist, dass die Mädchen schon im zarten Alter von 4 oder 5 Jahren von gesellschaftlich zugeschriebenen Rollenverteilungen Gebrauch gemacht haben. Das weiße Mädchen im Bewusstsein, dass sie in der Situation ist, bevorzugt werden zu können, während das schwarze Mädchen sich mit Diskriminierung konfrontiert sieht und das als ihre Rolle wahrnimmt. Das alles passiert aber nicht vorsätzlich, sondern entspringt bereits von klein auf gelernten Verhaltensmustern, die Kinder in diesem Alter noch nicht reflektieren können. Und genau da liegt der Unterschied zu rassistischem Verhalten von Erwachsenen.
Kinder lernen die Verhaltensweisen aber nicht zwangsläufig von den Eltern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen. Hauptsächlich lernen sie es aus den Medien wie Fernsehen oder Kinderbüchern. Man sollte meinen, dass gerade Kindersendungen und auch Kinderbücher in diesen Themen sensibel sind, doch dem ist meist nicht so. Ist euch schon mal aufgefallen, wie oft Schwarze als Protagonist*innen in Filmen und Serien für Erwachsene vorkommen? Ja genau, sehr selten. Sie sind eher die hilfsbereiten Freunde, jene die in Horrorfilmen als erstes sterben oder aber jene, die Bösewichte in der Handlung darstellen. In Kindersendungen und –büchern ist dieses Phänomen noch viel extremer. Schwarze Kinder kommen in Kinderbüchern kaum bis gar nicht vor, auf dem deutschen Markt gibt es nur 4 (!) Kinderbücher mit schwarzen Protagonist*innen. Und in denen werden Fragen der Diskriminierung gar nicht aufgriffen. Ähnlich sieht es bei Kindersendungen aus. Schwarzen Kindern fehlt also nicht nur eine Repräsentationsfigur, sondern sie verinnerlichen auch ein Gefühl des „nicht-relevant-seins“. Und das alles auf einer unbewussten Ebene. Schwarze Kinder sehen also nur weiße Kinder im Fernsehen, das gibt ihnen das Gefühl „nicht normal“ zu sein und sehen sich dadurch in einer „sich anpassen müssenden“ Minderheit. Dadurch wird nicht nur das Selbstwertgefühl schwarzer Kinder schon von klein auf massiv geschädigt, es beeinflusst sie auch in der Interaktion mit anderen Kindern.
Die Frage ist nun: Wie können wir dem denn entgegensteuern, wenn Kinder diese zugeschriebenen Rollenverteilungen noch gar nicht begreifen können?
Wichtig ist, dass Präventionsprogramme schon früh beginnen, am besten im Kindergarten – oder Vorschulalter, um ein Bewusstsein für rassistische Verhaltensweisen zu fördern. In diesem Alter fangen Kinder an, Unterschiede zwischen sich und anderen Kindern wahrzunehmen, die sie dann durch den Einfluss ihrer Eltern oder anderer Bezugspersonen einordnen und bewerten.
Wenn Kinder im Elternhaus rassistische Verhaltensweisen beobachten, werden sie diese sehr wahrscheinlich auch übernehmen. Im Prinzip ist es in diesem Alter ganz normal, sich eher mit dem eigenen Geschlecht und Personen, die einem selbst ähnlich sind zu umgeben, problematisch wird das erst, wenn Negativzuschreibungen über jene „die anders sind, als man selbst“ die Interaktion mit anderen Kindern beeinflussen. Das bedeutet, sobald die eigene „soziale Gruppe“ als die positivere bewertet wird und dabei im Umkehrschluss in Vorurteile, Diskriminierung und Benachteiligung gegenüber Kindern, die als „anders“ markiert werden umschlägt, sollte man aufmerksam werden. In solchen Situationen kann man als Eltern gezielt Kindermedien wählen, die Diversität normalisieren, damit die Kinder zunächst ein Verständnis dafür entwickeln können (da sollte man aber besonders auf einen kulturalisierenden Blick – voller Vorurteile, seien es negative oder positive- achten, denn dieser kann Rassismus auch verfestigen). Generell sollte man auch Konflikte zwischen Kindern nicht unterbinden, sobald aber auf rassistisch Rhetoriken zurückgegriffen wird, kann man den Kindern sachte erklären, warum das nicht in Ordnung ist. Sehr zu empfehlen ist auch, den eigenen Freundeskreis zu erweitern, sodass Kinder schon zuhause Diversität und ein entspanntes Beisammensein erleben können. Die Kinder eurer Freunde können sich dann auch mit den eigenen Kindern anfreunden. Je früher ihr damit anfangt, Kindern ein offenes Weltbild und damit einen respektvollen Umgang mit allen Menschen zu vermitteln, desto mehr sind sie vor rassistischen Verhaltensweisen geschützt. Man trägt so einen Teil dazu bei, Rassismus und gesellschaftlich zugeschriebene Rollenverteilungen zu schwächen und ganz besonders, sie nicht zu reproduzieren.
Es ist aber nicht nur wichtig Kindern beizubringen, wie man sich nicht rassistisch verhält, sondern auch, wie man sich verhält, wenn man selbst rassistisch angegriffen wird. Kinder, die mit Rassismus und Diskriminierung aufwachsen, brauchen Repräsentationsfiguren. Wenn man gute Medien dazu finden kann, ist das toll,. Leider sind diese nur schwer aufzutreiben. Ihr könnt aber eigene Geschichten erfinden, von schwarzen Held*innen und furchtlosen Hijabis, die sich jedem Kampf stellen. Eurer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Es ist so wichtig, ein von Rassismuserfahrungen angeknackstes Selbstwertgefühl zu stärken. Den Kindern klar zu machen, dass diese Grenzen menschgemacht sind und nichts festes, dass sie sich dagegen auflehnen sollen und ein Recht darauf haben fröhliche und neugierige Kinder zu sein.