Travel Diary einer Solo-reisenden Muslima

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Seit ich ein kleines Mädchen war, erinnere ich mich an Flugzeuge. Meine syrischen Wurzeln bedeuteten für uns von Geburt an ein mehrmaliges Reisen in die Heimat. Achtmaliges Umziehen, viele Urlaubsreisen und zwei Auslandsstudien haben dazu geführt, dass das Reisen für mich zu einer absoluten Normalität geworden ist und ich die vielen kulturellen und sozialen Tabus zum Thema „Frau alleine auf Reise“ nicht nachvollziehen kann. Ganz im Gegenteil: Ich finde muslimische Frauen müssen endlich raus in die Welt – nicht, dass viele von ihnen dies noch nicht täten – aber es wird Zeit, dass wir loslassen.

Was genau loslassen?

Unsere Ängste,

weil es endlich mal Zeit wird, Stereotypen umzukrempeln.

Es gibt so viele Vorurteile und es fällt vielen muslimischen Mädchen immer schwieriger, sich voll auszuleben und gleichzeitig dazu zu stehen, dass sie Musliminnen sind. Denn von überall her werden wir in Schubladen gesteckt: Wie wir uns zu verhalten haben, wo unser Platz ist.

Aber warum ist es eigentlich so schlimm? Von dem, was ich früher oft gehört habe, war es offensichtlich für viele ein kulturelles Tabu. Und bis heute ist es oft das Argument, dass Frauen sich in bestimmten Situation nicht selber verteidigen können. Dennoch sollte das kein „Nein“ bedeuten, denn es ist heutzutage möglich, dank beispielsweise Technologien, vieles sehr sicher und bedacht zu planen, so dass man mit einem gesunden Menschenverstand sicher die Welt erkunden kann.

Was viele auch nicht realisieren ist, dass das Reisen für uns Frauen vielmehr eine Chance ist, über unsere Religion von der weiblichen Perspektive des Lebens – endlich mal von unserer Seite – zu erzählen und nicht anderen unsere Repräsentation zu überlassen.

Aber warum ist jetzt gerade alleine Reisen als Frau so cool?

Easy!

Einfach. Mal. Ausschalten.

Erwachsen sein ist mit vielen neuen und nie endenden Verantwortungen verbunden. In diesem Wirrwarr kann man sich selbst sehr schnell vergessen. Es geht hier nicht nur um Sport, Self-Care und soziale Kontakte. Es geht um die Frage:

„Wer bin ich eigentlich und was wünsche ich mir von diesem Leben?“

Das Reisen prägt. Es dient der Entwicklung von Mut, Menschenkennung und Selbstbewusstsein, sowie der Horizonterweiterung. Außerdem ist es eine großartige Weise, Menschen kennenzulernen, die weit weg vom eigenen Umfeld leben und aufgewachsen sind und damit unsere Vorstellungen von allem positiv beeinflussen können.

Weil wir oft als Frauen ungefragt zu viel Hilfe erhalten, oder ausgeschlossen werden, ist es gerade für uns wichtig, alleine Neues kennenzulernen. Unser Geschlecht führt dazu, dass wir sozial und kulturell geprägt eingeschränkt werden. Dies war ein oft diskutiertes Thema meines Masters in Geschlechterwissenschaften. „Frauen sind zu sensibel“ – anstatt zu sagen, dass die Sensibilität der Frau ihr interdisziplinäres Verständnis stärkt. „Frauen haben Angst“ – statt „Frauen wägen Risiken genauer ein“. „Frauen werden Mütter und können deshalb keine Führungskraft werden.“ – völlig falsch, denn Mutter sein ohne Führungskraft ist nicht möglich.

Die Vorurteile machen es für eine Frau aus jedem Hintergrund schwieriger, diese vielen mentalen Barrikaden zu brechen. Beim Erwachsenwerden bilden sich viele Selbstzweifel, aber nur wenn wir aktiv unterscheiden, welche Limitierungen – wenn überhaupt – zu unserem Gunsten sind, und welche uns als etwas Gutes verkleidet schaden, können wir aus diesen Blockaden herauswachsen.

Reisen heißt, „Ja“ zu Neuem sagen und „Nein“ zur Angst.

Es muss auch nicht gleich nach Bali a la „Eat Pray Love“ gehen oder wie Reese Witherspoon in „Wild“ durch die Wüste und Wälder Amerikas wandern – obwohl auch richtig cool.

Findet euer Eigenes, etwas, was euch vom Bauchgefühl anzieht. Es kann auch nur der erste Städtetrip nach Berlin alleine sein. Alleine in Kreuzberg Mustafas Kebab essen gehen und danach sich allein zu einem Poetry Slam trauen; in Märkten in Prag nach alten Schätzen stöbern oder in Amsterdam eine Bootstour mit neuen Freunden machen. Für mich war es Florenz, Pasta und Pizza beim Duomo, mit meinem kleinen Notizbuch zeichnen und Cappuccino in den alten Künstlervierteln trinken.

Man könnte sagen, dass ich mich in diesem Moment wiedergefunden und die Lautstärke der Stereotypen und sozialen Limitierungen auf null gedreht habe und damit meine Kreativität und Lebensenergie voll aufgeladen wurden.

Danach gab es kein Halten für mich. Es fing klein an und hat bis heute nicht aufgehört. Heute bin ich verheiratet und reise auch viel mit meinem Mann. Dies ist auch toll, denn es hat mir Mut gegeben, in Höhlen zu schwimmen, mitten im Meer in eine Gruppe Fische zu springen, mit Schildkröten zu tauchen, in einem Wasserfall zu baden, mit einem Tucktuck – googelt das unbedingt – in einen Regenwald zu fahren, mit pinken Flipflops – nicht nachmachen bitte – zu wandern und noch viel mehr.

Die Menschen, die ich kennenlernen durfte, deren Leben meins berührt haben, die Gerichte die ich probierte und die Wunder der Natur, die ich vor meinen Augen zu sehen bekam, waren alles Geschenke: Geschenke des Universums, Geschenke Gottes. Es hat mich gelehrt, dass niemand der Feind von niemanden ist, dass die einfachsten Menschen die Besten sind und dass viel der Angst auf dieser Welt daher kommt, dass wir nicht wissen, wie andere Menschen leben.

Und noch zum Abschluss:

Irgendwann habe ich bemerkt, dass das Schönste, das ich in diesem Leben sammeln kann, keine Dinge materieller Art sind, sondern Erfahrungen, Gefühle und sinnliche Momente. Diese bleiben für immer im Herzen bestehen.

Das Reisen hat mich in vieler Hinsicht in eine neue, selbstbewusstere Frau verwandelt. Dieses hoffe ich hier weitergeben zu können.

Also schreibt uns bitte, falls ihr Fragen, Ideen, Anregungen oder Vorschläge habt. Wir freuen uns auf euren Input!

Und wenn ihr jetzt so richtig Lust aufs (Solo) Reisen bekommen habt, dann freut euch schon auf den nächsten Beitrag und lasst euch von mir in die Marokkanische Altstadt von Fez mitnehmen.

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Foto Copyright: Sena Naib-Yassin 2018/2019©

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Hallo alle zusammen, mein Name ist Sena. Ich komme ursprünglich aus Syrien und bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Mein Leben war schon sehr früh von einer Reiselust geprägt. Daher entschied ich mich schon mit 14 Jahren das erste Mal auszuziehen und zog zu meinen Verwandten nach Aleppo, Syrien, um in meinem Herkunftsland zu leben. Dort besuchte ich eine internationale Schule und seitdem ist Englisch, neben Deutsch und Arabisch, meine dritte Muttersprache geworden. Mein Bachelorstudium in visuellen Kommunikationen absolvierte ich in Dubai und meinen Master in Gender und Nah-Ost Studien in London. Als ich anfing zu studieren entdeckte ich ein großes Interesse für das Thema Frauenrechte in Verbindung mit meiner Herkunft. Und so kam es, dass ich mich darauf auf gesellschaftlich geprägte Geschlechterhierarchien im Nahen Osten und Syrien spezialisierte. Die verschiedenen Länder, in denen ich gelebt habe, prägen meinen Charakter bis heute und ich bin dankbar für die Freunde und Erfahrungen, die ich auf meinem Weg dazugewonnen habe. In meiner Freizeit genieße ich es immer wieder Neues auszuprobieren. Am liebsten aber lese ich (aus irgendeinem Grund immer mehrere Bücher zur gleichen Zeit), töpfere an der Drehscheibe, mache Pilates für die Seele und Schwimmen für den Körper.